Bilderbandschrifteu
des
Mittelalters.
Dass die in unserer Handschrift enthaltenen Bilder ton dem Dichter
selbst herrühren (oder wenigstens, wie "wir unten sehen werden, Copien
der seinigen sind), unterliegt noch weniger einem Zweifel. Es sind im
Obigen Beispiele zur Genüge beigebracht, wie in jenem Zeitalter die ver-
schiedenen Richtungen der geistigen Production, wissenschaftliche und
künstlerische, SiCh in einem und demselben lndividuum zu vereinigen
pflegten und wie namentlich die Schreiber der Werke sich auch ihre künst-
lerische Ausstattung angelegen sein liessen. Ebenso einige bestimmte
Aeusserungen, dass auch Werinher, neben seinen literarischen Verdiensten,
sich künstlerisch bethätigt hatte. Es liegt auf der Hand, dass er die äussere
Zier seines Werkes keinem andern übertragen haben wird, wenn er sie
selbst zu beschaffen im Stande war. Es ist ferner zu bemerken, dass das
Talent, welches sich in der Mehrzahl dieser Bilder ausspricht, wenn sich
dasselbe auch noch nicht hinlänglich frei zu bewegen vermochte, doch dem
eigenthümlichen poetischen Schwunge des Gedichtes sehr wohl entspricht.
Es ist endlich noch, als ein Umstand von wesentlicher Bedeutung, hervor-
zuheben, dass diese Bilder nicht, wie in ähnlichen gleichzeitigen YVerken,
z. B. in der Handschrift der Eneidt des Heinrich von Veldeck auf der
Königl. Bibliothek zu Berlin oder in dem Hortus deliciartnn der Herrad
von Landsperg zu Strassburg, auf eignen, vom Texte gesonderten Blättern
oder, wie in der Wolfenbüttler Handschrift des Wilhelm von Oranse, auf
besondern Seiten oder, wie in verschiedenen Handschriften des Welschen
Gastes und in den Heidelberger Fragmenten des Wilhelm von Oranse auf
dem Rande der Seite gezeichnet sind, so dass sich hier überall die Ar-
beiten des Schreibers und des Zeichners trennen; sondern dass sie den
Text, zuweilen sogar mitten im, Satze, unterbrechen, eine Freiheit,
welche keineswegs eine blosse Zufälligkeit zu sein scheint, sondern viel-
mehr zeigt, wie der Dichter den Punkt, da sich ihm die Handlung zu
einem bestimmten Bilde gestaltete, fest hielt, um das Bild alsbald auszu-
führen 1).
Das Gedicht selbst erzählt das Leben der heil. Jungfrau bis dahin,
wo sie den Heiland geboren hat, was auch die eigentliche That derselben
ist.- Es zerfällt, wie bemerkt, in drei Theile, von denen der erste die Ge-
schichte ihrer Geburt nach langer Unfruchtbarkeit ihrer Mutter Anna, der
zweite die Geschichte ihrer Verheirathung mit Joseph und die Verkündi-
gung, der dritte die Trübsale, die sie wegen ihrer unerklärlichen Schwan-
gerschaft erlitten hat, die Geburt des Herrn, die sieben grossen Zeichen
bei dessen Geburt, die Flucht nach Aegypten und die Heimkehr enthält.
Was den Ursprung dieser Geschichte betrifft, so sagt Werinher, dass
Matthäus dieselbe zuerst in hebräischer Zunge geschrieben habe, von wo
sie durch S. Hieronymus auf den Rath des Ohromatius und Heliodorus
übertragen sei:
In das sanfte Latein:
Das Wasser ward da zu Wein,
Die Milch verwandelt sich in das
Da er uns schrieb also wohl.
Oel.
der Ileidelberger
dass auch dieser
Auf dieselbe Weise unterbrechen auch die Zeichnungen
Handschrift des Rolandliedes vom PfaiTen Chunrat den Text, so
zugleich als der Zeichner zu betrachten sein dürfte.