Sarto.
Andrea
Von
Alfred Reumont etc.
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Andrea war mannigfach abhängig von äusseren Verhältnissen, die zu
überwinden er weder Lust noch Beruf in sich fühlte. Er brachte sein
Leben in der Sphäre gemeiner Bürgerlichkeiezu, deren behagliche Ver-
gnügungen ihm über Alles gingen, und_war nicht im Stande, die Sonnen-
höhe des Lebens, dahin ihn ein günstiges Schicksal erheben gewollt, zu
ertragen E, Wal. wedel- dureh grOSSe Tugenden noch durch grosse Leiden-
schaften bewegt. Die blinde Liebe für seine Frau, die mehr als eine
Schuld auf ihn gewälzt, war nicht Leidenschaft, sondern Schwachheit: er
war ein Kind, das am Gängelbande geleitet sein wollte. Um so interes-
santer jedoch ist es, den Kampf seines edleren, künstlerischen Dranges mit
der Misere des Alltagslebens zu beobachten.
Das vorliegende Werk entfaltet vor uns in anschaulicher WVeisc das
Bild dieses merkwürdigen Charakters, die Verhältnisse in denen er zu
seiner Zeit stand undden bedeutenden Kreis seiner Wirksamkeit. Es ist
mit warmer Liebe für den Gegenstand geschrieben, stellt jedoch die weniger
erfreulichen Partieen desselben, ohne sie ängstlich zu beniänteln, nur in
dem Lichte freundlich theilnehmender Schonung dar. Es verbreitet sich
mit anspruchloser Gemessenheit über einen der interessantesten Abschnitte
der neueren Geschichte und rechtfertigt in vollem Maasse die günstigen
Erwartungen, welche die früheren Aufsätze des Verfassers im 'l'übinger
Kunstblatte den Freunden der Kunstgeschichte erregt haben.
Brauchbare Vorarbeiten fand der Verfasser vornehmlich in Vasarfs
Biographie des Andrea, der als ein ergebener Schüler dieses Künstlers
voraussetzlich aufs Genauste von dessen Lebensumständen und Wirken
unterrichtet sein konnte; doch waren auch hier, so wie in den übrigen
Biographieen Vasarfs, mannigfache Irrthümer und Versehen zu berichtigen.
Sodann in BiadPs Notizie inedite düindrea del Sarto, raccolte da manos-
critti e documenti autentici (Florenz 1830), welche jedoch in Bezug auf
Kritik und Kcnntniss der Geschichte jener Zeit ebenfalls Manches zu
wünschen lassen. Eigene historische Studien und genauere Sichtung der
bei Vasari zerstreuten Notizen auf der einen Seite, auf der andern eine
genügende Bekanntschaft mit den Werken Andrea's, dazu ein mehrjähriger
Aufenthalt in Florenz erfreuliche Gelegenheit bot, machten es dem Ver-
fasser möglich, Bedeutenderes zu leisten, als seine Vorgänger, und den
Gegenstand im Wesentlichen genügend zu erschöpfen.
S0 führt uns denn das vorliegende Werk vornehmlich in die engeren
Verhältnisse eines mehr bürgerlichen Kunstbetriebes ein, was um so interes-
santer ist, als bisher in Monographieen der Art insgemein nur die Wir-
kungskreisc solcher Künstler behandelt sind, welche sich mehr an das
öffentliche Leben des Volkes und an den Glanz fürstlicher Throne ange-
schlossen haben. Wir sehen einen jungen vllbcmittelferl Künstler vor uns,
der zuerst im engen Atelier und in Gemeinschaft mit dem Freunde (Francia
Bigie) beginnt, der anfangs für geringfügigen Lohn, mehr um sich einen
Namen als Geld zu verdienen, malt, der sodann bald unter den Mitbürgern
Achtung und Ansehen erwirbt, aber auch in späterer Zeit immer noch
diesen und jenen Auftrag annimmt, der, nach unsren Bcglitfen, mehr ins
Bereich des Handwerkes gehört. Wir Sehen ihn nicht blos an jener höl-
Zcrnen Dekoration, womit beim Einzuge des Papstes in Florenz (1515) die
Domfacadc geschmückt wurde, die Reliefs malen; sondern auch die Triumph-
wagcn des Johannisfcstes, ja sogar das Brautbett des reichen Pierfranccsco
Borghcrini- mit den läi-liiidungcn seines Pinscls auszicren. Fröhliche Gesell-