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Berichte
Kritiken
und
einem Buche zusammengetragen zu sehen; die beträchtlichen Kosten einer
förmlichen Bibliothek, die mühsame Arbeit mannigfacher Exeerpte würden
durch ein solches Werk beseitigt, ein nnbefangenes Urtheil erleichtert und
einem künftigen Geschichtschreiber Raphaels die Bahn bereitet werden.
Das vorliegende Werk, welches eine solche Compilation geben will, lässt
wünschen, dass möglichst bald noch eine zweite Arbeit der Art unter-
nommen werden möge.
Nicht, als 0b die vorliegende geradezu unbrauchbar wäre. Wo die
Arbeit leicht war, über die Stanzen, die Tapeten, über die grösseren Staf-
feleibilder der späteren Zeit, ist ganz Gutes zusammengetragen; man findet
über diese Dinge eine genügende Auskunft und wird sich der hier mitge-
theilten Auszüge immer mit Vortheil bedienen können. Anders verhält es
sich, wo die Arbeit schwerer war und die Bedaction des Buches einiges
Urtheil verlangte.
Vor allen Dingen war es nöthig, dass der Verf. bei einer jeden ein-
zelnen Angabe genau die Quelle anführte, aus welcher dieselbe geflossen;
die grössere oder geringere Autorität einer solchen Quelle würde dem
Leser schon an sich einen gewissen Maassstab des Urtheils gegeben haben.
Dies ist jedoch im Ganzen sehr wenig geschehen, und der Compilator läuft
nun Gefahr, manche missliche Dinge in eignet Person vertheidigen zu
müssen, wie z. B. das alberne Urtheil über die Geschichten der Psyche
in der Farnesina (S. 257): „Aueh die Auffassung des Ganzen ist dem wahren
"Geiste des Mythus, welcher doch das bessere Prinzip des milesischcn
„Mährchens sein sollte, fern geblieben. Der Künstler hat in allzutreuer
"Anschliessung an seinen lateinischen Text nichts weiter als die zauber-
"hafte Lebens- und Liebesgeschichte der Prinzessin Psyche dargestellt,
"und dieses alles so ziemlich in der niedrigsten Sphäre des roheren Sin-
"nengenusses gehalten Wir erkennen in diesenBildern den Geschmack
"und die Bildung der Zeit unsers Künstlers, von welcher er sich hier leiten
„liess; zu einer andern, bessern, hätte er anders gedacht und empfunden (l
Zu dieser Kategorie gehört auch die sentimentale Steile über die F ornarina
(S. 301), die mit dem Charakter ihres Portraits im Palaste Barberini etwas
in Widerspruch ist. Ebenso wird (S. 74) ohne Quelle die für uns Berliner
höchlichst überraschende Nachricht mitgetheilt, dass die K. Gallerie zu
Potsdam zwei treftliche heilige Familien Raphaels besitze. U. s. w.
Das zweite Haupterforderniss einer compilatorischen Arbeit ist strenge,
consequcnte Anordnung, Uebersichtlichkeit des Inhalts, zweckmässige Ein-
richtung zum Nachschlagen. Dies fehlt, vornehmlich wo es sich um die
kleineren Statfeleibildcr handelt, fast ganz, und man kann sich nur mit
Mühe und Noth durch das Gewirre der Notizen hindurcharbeiten. Bestimmte
Rubricirung, Bezeichnung des Titels (oder Inhalts) der Bilder durch grösseren
Druck, eigentliches Inlmltsverzeichniss sind gar nicht vorhanden. Die Anga-
ben über manch ein Bild muss man sich an zwei, drei Orten zusammen-
suchen. Bei den Bildern, deren Aechtheit oder Zeitbestimmung zweifel-
haft ist, folgt der Verf. gar keinem bestimmten Princip; bald ist er Rumohr
contra Hirt, bald l-lirt contra Rumohr. Das Bildniss des Cesare Borgia im
Pal. Borghesc zu Rom findet man unter den Werken aus Raphaels frühstcr
Periode, den kleinen ltrzengel Michael (der offenbar mit dem St. Georg
welchen Raphael in Urbino malte, gleichzeitig ist) unter den Werken der
spätesten Periode angeführt. U. dergl. m.
Alles dies ist vornehmlich durch die grösste Leichtfertigkeit und Eile.