Vorstudien für Leben
Btß.
Kunst
und
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Typus, und obgleich jene Künstler einen grösseren Schritt in der Natur-
anffassung wagen dürfen, als ihre Vorgänger.
Eine nähere Bezeichnung der Schulen, in welchen sich, von Giotto ab,
die italienische Kunst emporbildet, übergeht der Verfasser, und bemerkt
vornehmlich nur, dass sich in dieser Beziehung am frühesten Toscana,
Venedig und die umbrischen Städte unterscheiden lassen. Dies ist nicht
richtig, indem Venedig erst mit dem fünfzehnten Jahrhunderte einiger-
niaassen bemerklich wird (gleichzeitig mit den Schulen von Paduß, Fflrrara
u. a., Bologna, Neapel u. a. beträchtlich früher), und _Umbrien in seiner
besonderen Eigenthüinlichkeit kaum vor dem letzten Viertel dieses Jahr-
hunderts auftritt.
Der Verfasser geht nur auf den Entwickelungsgang der florentinischen
Schule näher ein, Gietto wird von ihm in seinen besonderen Verdiensten
um erweiterte Nnturauffassung ziemlich glücklich charakterisirt, in seinem
eigentlich poetischen Werthe aber nicht genügend gewürdigt, und jenes
eben angedeiiieten allgemeineren Verhältnisses, in dem_er zu seiner Zeit
steht, natürlich nicht gedacht. Dass Giotto hauptsächlich Lebensbegeb-
nisse der Heiligen dargestellt habe. ist übrigens nicht richtig; auch gehören
dahin unter den vorhandenen Gemälden, die ihm mit einiger Wahrschein-
lichkeit zugeschieben werden, nichts als die kleinen Tafeln mit Geschichten
des h. Franciscus, die sich früher in der Sacristei von S. Croce zu Florenz
befanden.
Von Giotto springt der Verf. ziemlich schnell zum fünfzehnten Jahr-
hundert über, und zwar unterscheidet er jetzt als nächste Fortentwickelung
drei Richtungen.
Die erste Richtung soll Fiesole bezeichnen. Diese Annahme ist ganz
willkührlich. Fiesole, wie er in seiner klösterlichen Abgeschiedenheit
waltete, steht auch fast ganz getrennt von den übrigen Florentinern da. In
den allgemeinen Bezügen seiner Darstellungsweise zeigt er sich noch als
abhängig von den Meistern des vorigen Jahrhunderts, und der besondre
Ausdruck, den cr den Köpfen seiner Engel zu geben wusste, wird weder von
Zeitgenossen noch von Nachfolgern aufgenommen.
Die zweite Richtung bezeichnet der Verf. als das kämpfende Streben,
welches den Gegensatz zwischen höchster Wahrheit des Inhalts und äus-
serer YVeltlichkeit der Erscheinung zur Ausgleichung bringen wolle." Unter
den Florentinern glänze in dieser Richtung zuerst Fra Filippo Lippi her-
vor. Diese Angabe ist wiederum unhaltbar. Finden sich einige unter
Filippos Bildern, die eine solche Richtung in Etwas bestätigen möchten
(wie z. B. N0. 168, Abth. I. im Berliner Museum und ein ähnliches in der
Flnrentiner Akademie], so zeigt bei Weitem doch die Mehrzahl seiner
XEeI-ke, besonders seine Fresken zu Prato, in Auffassung und Darstellung.
nur einen weltlich gemeinen Sinn, der sich eben nicht "von der Macht des
gegenwärtigen Gottes überwunden fühlt." NtIGIkFlIIIJPO nennt der Verf.
als Hauptbeispiele noch Sandro Botticelli, Filippino Lippi und Raifaellino
del Garbo.
Die dritte Richtung findet der Verf. in denjenigen florentinischcn
Meistern repräsentirt, die, von der Sculptur ausgehend, besonders das Stu-
dium des menschlichen Körpers, seiner Verhältnisse u. s. w. befolgten.
Als ersten Meister nennr er hier den Andrea del Verocchio; Lorenzg (li
Ci-edi jedeeh, den der Verf. an diesen anschliesst, durfte, obgleich ci- (195