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Studien.
Italienische
Nachdem nun unser Künstler mit so glücklichem Erfolge versucht
hatte, die öffentlichen und die Privat-Gebäude Venedigs auszuschmücken,
konnte dem wachsamen Auge der Väter der Stadt ein Mann nicht entge-
hen, der sich durch seine Kunst bereits um den Staat so wohlverdient
gemacht hatte. Als man nämlich den Saal des gro s s en Rathes (im
Dogenpalast) ausmalen lassen wollte, wurde unter den vielen andern,
die zu dieser Arbeit auserwählt waren, auch dem Gentile ein Theil der-
selben zugethcilt und somit dem eigenen Verlangen unseres Künstlers , der
sich nach einem Wettkampf mit jenen vorzüglichen Meistern sehnte, Ge-
nüge geleistet.
Der Saal, in welchem Gentile arbeiten sollte, war im Jahre 1309 ge-
baut worden, und hatte in dieser Epoche keinen anderen Schmuck als
einen einfachen Anstrich, bis im Jahr 1365 dem Guariento von Padua
aufgetragen wurde, an der Stirnwand desselben das Paradies zu malen,
auch einige andere Gemälde in demselben auszuführen, unter denen als
das vorzüglichste die Darstellung der blutigen Schlacht von Spoleto be-
trachtet wurde. Um das Jahr 1400 ordnete der Doge Steno an, dass das
Gewölbe des Saales mit dem treiflichsten Ultramarin und goldenen Sternen
ausgemalt werde. Und so blieb es, bis etwa fünfzig Jahre später der Doge
Nicole Marcello dem Luigi Vivarino auftrug, an einer Wand des Saa-
les die hohe Milde der Republik, durch die Zurückgabe des Prinzen Otto
an seinen Vater, Kaiser Friedrich I. darzustellen. Neben diesem ward
Vittore Pisanel 10 von Verona beauftragt, den Otto darzustellen, wie
er vom Dogen, auf die Bürgschaft des Papstes Alexander lII. die Erlaub-
niss erhält, mit seinem Vater wegen des Friedens zu unterhandeln; in die-
ser Scene waren diejenigen Männer, welche sich im Dienste der Republik
ausgezeichnet hatten, abgebildet und unter ihnen namentlich, wie Sansovino
berichtet, der schöne und tapfere junge Andrea Vendramin. G entil e
endlich erhielt den Auftrag, an den Seiten des Saales die blutige See-
schlacht, die auf der Höhe von Pirano zwischen der Flotte der Republik
und der des Kaisers Friedrich Barbarossa vorgefallen war, darzustellen
Diese Arbeit führte er so glücklich aus, dass er vorzugsweise vßm Senat
ausgezeichnet, mit der Doga der Patricier bekleidet und ihm ein lebens-
längliches Gehalt, von einem Dukaten des Tages, bewilligt wurde. Ein so
preiswürdigesWerk, wie dies war, hätte es gewiss verdient, auf lange Zeit der
Bewunderung der Menschen ausgestellt zu bleiben. Leiderjedoch geschah es
anders. Kaum fünfzig Jahre nach seiner Vollendung, im Anfange des
sechzehnten Jahrhunderts, galt es schon für verloren, da die Feuchtigkeit des
Ortes die Farbe fast gänzlich aufgezehrt hatte; und wir wissen, dass im
Krone darüber, mehrmals wiederholt, was möglicher Weise auf den Namen des
Künstlers zu deuten sein möchte. Jedenfalls ist das Bild als eins der schön-
sten Werke von Gentiles Hand zu betrachten; als ein solches erkannte ich es
augenblicklich, ehe ich wusste, was ich in der Sammlung des Hrn. Craglietto zu
erwarten haben dürfe. Es ist das Zeugniss einer reichen, höchst liebenswürdigen
Phantasie. Die Madonna in ihrer zart-stylisirten fiesolanischen Gewandung, ist
überaus anmuthig; die jugendlichen Ritter, besonders die zu den Seiten des
vierten Fürsten, sind von reizender Schönheit. Der Goldschmuck ist zuweilen
erhöht, en-relief, aufgesetzt. Dies thut jedoch der Harmonie des Ganzen eben-
falls keinen Abbruch, da natürlich, bei Anwendung des Goldes, auf andere Weise
keine Modellirung hervorgebracht werden kann; nur muss man Bilder dßl" A"
stets im richtigen Lichte betrachten. A. d. Uebs.]