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Italienische Studien.
im Jahr 1423 ausgeführt sei, indem er gerade diese Epoche als merkwürdig
bezeichnet sowohl durch die Vollendung des Gusscs der Statue Johannis
des Täufcrs, welche Donatello für das Baptisterium gearbeitet hatte, als
durch die genannte Malerei von der Hand unseres Gentile. Und wirklich
muss man glauben, dass das Werk des letzteren in jener Zeit einer seltenen
Auszeichnung Werth gehalten wurde und demnach die Bewunderung der
vorzügliehsten Kenner erweckte, da desselben in den öffentlichen Registern
der Kathedrale auf eine höchst ehrenvolle Weise erwähnt wird 1). Auch
ist, nach meiner Ansicht, kein Widerspruch zwischen der in diesen Büchern
genannten Epoche und der von della Valle angenommenen, da es sehr
wohl vereinbar ist, wenn die Malerei des Gcntile bereits im Jahr 1423
vollendet und _jene ehrenvolle Erwähnung erst zwei Jahre später, 1425,
ausgesprochen wurde.
Dass unser Künstler von Orvieto wieder nach Florenz zurückgekehrt
sei, kann man aus den Arbeiten, die er in dieser Stadt um dieselbe Zeit
ausgeführt hat, entnehmen. Es ist mir wahrscheinlich, dass Gentile erst,
nachdem er jenes Werk in Orvieto ausgeführt hatte, die Hand an das
Gemälde der Anbetung der Könige "fitr die Kirche S. Triuitir
[gegenwärtig in der Akademie von Florenz befindlich] gelegt hat. Denn
da das erste von ungleich einfacherer Composition ist, so muss man anneh-
men, dass er die Ausführung des zweiten nicht eher, als nachdem er sich
in der KvIlSt um ein Bedeutendes vorgerückt fühlte, unternommen haben
werde. Wie es sich indess auch mit dieser chronologischen Untersuchung
verhalten möge, soviel kann man mit voller Ueberzeuguug behaupten, dass
er im letztgenannten Gemälde so bedeutende Vorzüge, in Bezug auf die
Composition wie auf das Colorit, entwickelte, dass es hinreichend war,
seinen Ruhm unter den ersten Meistern se.iner Zeit sicher zu stellen.
Gentile hatte die Absicht, auf diesem Bilde die Darstellung der Geburt
Christi und die Anbetung der Könige zu vereinigen: eine schwierige Auf-
gabe, sowohl, wenn man die grosse Anzahl der Figuren, als die verschie-
denen Eigenthümlichkeiten der Köpfe und der Costüme, die dabei zu
vereinigen waren, betrachtet. Mit aller Stärke der Einbilduugskraft darauf
gewandt, gelang es ihm, die Charaktere der Hauptfiguren in ihrem bedeut-
samsten und somit wahrsten Momente zu erfassen. Welche Bescheidenheit
ist in dieser Jungfrau! welche freundliche Anmnth in dem göttlichen Kinde!
welch ein begeistertes Staunen in dem heiligen Greise Joseph, welche Hin-
gebung und Frömmigkeit in den Königen und in denen, die ihre Beglei-
tung ausmachen! welche Naivetät in den Hirten! überhaupt, welche schöne
Individualität in einer jeden Figur, die Gentile in diesem Gemälde darge-
stellt hat! Die Gcwanduug eines Jeden ist sehr wohlvcrstanden; die Vor-
sChlßdfjllllßlt (lCP Farben, Lllß eben S0 SChllClIIZ, Wiß rgigh und ghinzeml
gehalten sind, bildet zueinander den trcfflichsttrn Contrast. Vasari gicbt
MM dass, GCIIÜR? in einem der Könige sein eignes Bildniss dargestellt habe;
und hlßmit dürfte 61', wie es scheint, haben andeuten wollen, dass dieses
Werk das erste, seines Piusels vollkommen würdigg Sei, und dass C,- sich
von demselben vollkommen befriedigt fühle: dies um so mehr, da es
i) ÜIX. Deccnz. MCCCOXÄWC Uum per egreyium. Mayislrum. Mayisßrßrlwn
"(ientilcna de Fabriano pictorcm, picta fuerit ivnago, ct picta Majestrzs B. M. V.
„tam subtil-über, et decov-e pulch-ritudinis" etc. Vergl. Delta V alle: Sloria dct
Duomo d'O1'vict0. Roma 179i, p. 123.