ITALIENISCHE
STUDIEN.
1835.
ÜBER
DIE
MAILÄNDER
SCHULE.
(Museum,
1835,
21 m)
Was vor allen Dingen in Mailand mich anzog und bei näherer Bekannt-
schaft immer mehr fesselte, war die Schule des Leonardo da Vinci. Es
waltet in dieser Schule ein eigenthümlich milder und edler Geist, der als
ein lichter Strahl von dem Meister ausgeht, sich in den mehr oder minder
begabten Schülern in mannigfachen Farben bricht und auch in mittelmässi-
gen Produktionen immer noch auf liebenswürdige Weise nachklingt. Es
ist ein schönes Band, welches einen Kreis begabter und tüchtiger Men-
schen umschlingt, welches selbst die ausser der Schule stehenden Lands-
leute, selbst die Später-geborenen in diesen Kreis mit hinßinzighf und ebenso
auch auf den Beschauer seinen unwiderstehlichen Zauber ausübt.
Das tragische Schicksal, welches die Hauptwerke Leonardtfs heim-
gesucht hat, ist bekannt. Das Modell der kolossalen Reiterstatue, welches
er für Franz Sforza gearbeitet hatte, diente den französischen Bogenschützen
bei der Eroberung Mailands als Zielscheibe; der Carton, den er im Wett-
streit mit Michelangelo fertigte, ward räuberischer Weise von einem Neider
vernichtet; das Abendmahl ist eine unsäglich traurige Ruine. ln der
Gallerie der Brera sieht man ein Stückchen von dem Carton zu diesem
grossen Meisterwerke, den Kopf des lleilandes. Dies, möchte ich sagen,
ist Alles, was in Mailand noch von dem Abendmahl vorhanden ist 1); denn
wenn es auch nur ein zerfetztes, zerrissenes Blatt Papier ist, wenn die
Pastell-Zeichnung auch nur noch wie ein schwacher Schimmer darauf liegt,
so ahnt, so erkennt man hier doch noch, was der Meister darstellen wollte.
Es gewinnt diese ncbelartige Zeichnung bei längerer Betrachtung eine feste,
bestimmte Gestalt; man sieht in diesen schönen Zügen den höchsten Ernst
und die göttlichste Milde ausgedrückt; man sieht den Schmerz um den
i] Andre Stücke des Cartons (oder Studien zu
sind in England. (Gegenwärtig, 1852, in Weimar.)
Köpfen
d an
mies
Gemäldes)