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Antike Polychromio.
turwerken keineswegs auf wirkliche Naturnachahmung abgesehen war, dass
sie vorzugsweise nur zur Erfüllung dekorativer Zwecke diente und dass
sie zugleich mit dem System der Farbenanwendung an den Architektur-
werken in innigster Harmonie stand. Auch sind die etwaigen Zeugnisse
dafür, dass bei Sculpturen aus edlem Material, namentlich Marmor, das
Nackte einen, wenn nicht die natürliche Erscheinung genau nachahmenden,
so doch derselben sich annähernden Farbcnüberzug gehabt habe, zu wenig
bedeutend und zu wenig sicher und entschieden, um daraus eine erheblich
weiter greifende Schlussfolgerung zu ziehen. Sofern aber das Nackte im
Allgemeinen als ungefarbt angenommen wird, liegt es in den nothwendigen
Bedingnissen der künstlerischen Harmonie, auch bei den Gewändern das
entschiedenste Maasshalten rücksichtlich der farbigen Ausstattung anzunehmen.
L. v. Klenze, wie schon angedeutet, nimmt eine grössere Ausdehnung
der farbigen Zuthat an: eine häufig angewandte halb conventionelle Tönung
der Theile des Sculpurwcrkes mit dieser oder jener einfachen Farbe. Ohne
hier näher auf die doch etwas schwierige ästhetische Würdigung einer sol-
chen Bemalung einzugehen, bemerke ich nur, dass diese Annahme, was
ihre sichern Anknüpfungspunkte an Vorhandenes betrifft, vorzugsweise von
den kleinen bunten Terracotten und sodann von der Behandlung der Farbe
in den neuerlich entdeckten Malereien etruskiseher Gräber ausgeht. Beides
aber scheint mir der eigentlichen, und insbesondere der selbständigen Sculp-
tur zu fern zu stehen, um die unbedingte Schlussfolgerung recht zulässig
zu machen.
Doch wird das Vorhandensein der bunten Terracotten. zumal derer
aus guter griechischer Zeit, es immerhin glaubhaft machen, dass das an
ihnen Beliebte gelegentlich auch bei Werken grösseren Maassstabes versucht
sein mag. Einen weiteren Beleg dafür, freilich auch nur für mehr unter-
geordnete Sculpturarbeiten, giebt das oben von mir aufgeführte hereulani-
sche Wandgemälde; sowie hiebei auch auf jene, für den reinen Hellenismus
zwar nur bedingt gültigen Reliefs von Myra Rücksicht zu nehmen sein
dürfte. Noch wichtiger aber für die Anwendung einer gelegentlich reicheren
Bemalung der Sculptur scheint mir das Vorhandensein reicherer Färbung
an den architektonischen Theilen des d.orischen Frieses zu sein. W'c die
ganze Umgebung durch leuchtende Farben ausgezeichnet war, wird ohne
Zweifel, allgemeinen harmonischen Gesetzen zufolge, auch die bildnerigchß
Darstellung an solchem Schmucke in umfassenderer Weise Theil genommen
haben. Wie weit dergleichen sich ausgedehnt haben dürfte, lässt sich aus
dem Vorhandenen freilich nicht mehr ermitteln. Auch ist es ganz glaub-
haft, dass, was hienach bei dorischen Fries-Sculpturen geschah, ab und zu
auch bei selbständigeren Einzelwerken zur Anwendung kommen mochte.
Es liegen aber in keiner Weise sichre Zeugnisse vor, dass eine etwas reichere
Bemalung, wie sie hiebei vorausgesetzt werden kann, in dem Gcsammt-
gebiet der griechischen Sculptur irgendwie vorherrschend gewesen sei.
Man hat sich schliesslich, um das Passliche einer durchgeführten
Bemalung auch an griechischen Sculpturwerken zu erweisen, auf die an
Sculpturarbeiten des christlichen Zeitalters häufig vorkommende und deren
Schönheit zum Theil wesentlich fördernde Bemalung berufen. Ich hätte
darauf allerdings schon in meiner Schrift über die Polychromie eingehen
sollen, aber nur, um aus diesem Verhältniss einen der schlagendsten
Beweise für das Gegentheil zu entnehmen. Die Bemalung an den christ-
liehen Sculpturwerken geht überall, wo sie mehr als roh conventioneller