Zur
Sculptur.
Die Zeugnisse alter Schriftsteller in Bezug auffarbige Ausstattung
der Sculptur, die ich in meiner Schrift über die Polychromie zusammengestellt
hatte, sind, sofern ich mich danach gegen grössere Farbenfülle und beson-
ders gegen eine, die Natur nachahmende Bemalung ausgesprochen, von
Chr. Walz in den Heidelberger Jahrbüchern (1837, N0. 14 f.) einer noch
schärferen Kritik unterworfen worden, als dasjenige, was in diesem Betracht
von mir über die Architektur beigebracht war. Aber auch hier kann ich,
indem ich die Sache nochmals unbefangen prüfe, meinem Kritiker ein
wesentliches Zugeständniss nicht machen. Höchstens handelt es sich dabei
um ein Mehr oder WVeniger des Nachdrucke, der auf dies oder jenes Wort
zu legen ist, aber doch eben nichts entscheidet; auch dünkt mich, dass
mein Kritiker sich selbst von dem Vorwurf ungeeigneter Schlussfolgerungen
(zu Gunsten seiner Vorliebe für das Bunte) nicht ganz frei gehalten hat.
Der Räthliehkeit der von mir nur beiläufig aufgenommenen Emendation
der Plutarchischen Stelle (im Perikles, c. 12) über Elfenbeinmaler wider-
spricht er, sieht sich dabei aber, um das vorausgesetzte Colorit des Elfen-
beins an den chryselephantinen Kolossalstatuen bei dessen stetig wieder-
holten Netzungen mit Oel oder Wasser zu retten", zu der Annahme eines
eigenthümlichen Verfahrens genöthigt. Die Phädrynten nämlich, die Nach-
kommen des Phidias, denen nach Pausanias (V. 14, 5) das Geschäft der
Reinigung der ehryselephantinen Zeusstatue zu Olympia obgelegen, hätten
als "Künstlergeschlecht" nicht blos dafür, sondern auch für die Einreibung
des Elfenbeins mit Oel und namentlich für die Erhaltung; des „zarten C010-
rits" zu sorgen gehabt. Abgesehen davon, dass dies in den Pausanias
durchaus hinein erfunden "ist, so wäre der Erfolg eines solchen von Jahr
zu Jahr erneuten Verfahrens für die Erhaltung, wenn nicht des Colorits
selbst, so doch der ganzen künstlerischen Bedeutung desselben wohl allzu
problematisch gewesen. Das aus den stets wiederholten Netzuugen des
Elfenbeins an grossen chryselephantinen Werken gegen dessen Bemalung
entnommene Bedenken kann ich hienach noch keinesweges als beseitigt
betrachten.
Dann ist es besonders meine hypothetisch gegebene Auffassung der
vielbesprochenen Stelle bei Plinius (H. N. 35, 11) über die Circumlitio des
Nicias, worüber er sich missfällig äussert. Nach ihm ist es eben entschie-
den Bemalung im eigentlich malerischen Sinne ausgeführte Bemalung,
und er geht sogar soweit, dass er aus solcher Uebung an Sculpturwerken
der ich (abgesehen von dem. was ich oben über das dorische Gebälk entwickelt
habe) auch jetzt noch mit Ueberzeugung folge. Ich muss an das erinnern, was
ich über den Prozess der Bewegung, der im dorischen Kapitäl seinen üxirten
ästhetischen Ausdruck gewonnen, gesagt habe, Es liegt in diesen Formen für
meine Auffassung etwas so Grosses, Starkes, dem ästhetischen Sinne in sich so
Verständliches, dass jede hinzugefügte Dekoration auf mich nur einen kleinlichen
und strörerxden Eindruck machen würde. Säule, Kapitäl und Architrav bilden
für diese meine Auffassung ein fest und streng Zusammengehöriges, welches durch
die Ornamentik des Frieses und Kranzgesimses in keiner Weise bedingt zu sein
braucht, welches diesen Schrnuckgliedern in seiner starken Selbständigkeit gegen-
übersteht und durch den Mangel eines halben Antheils an ihrem Schmucke noch
entfernt nicht ein disharmonisches Verhältuiss zu ihnen gewinnt-