Volltext: Kleine Schriften und Studien zur Kunstgeschichte (Bd. 1)

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Pulychromie. 
Antike 
finden kann. Dass im Allgemeinen jedoch nur vom ersteren die Rede sein 
kann, dürfen wir dem griechischen Geiste des Maasses zutrauen. 
Dies führt uns auf den Hauptgrund, welcher den Gegnern der Polychro- 
mie entgegenzustellen ist. Wir müssen in der ganzen Anwendung der Farbe, 
davon wir gegenwärtig kein erhaltenes Beispiel vor uns sehen, dem grie- 
chischen Geiste eben vertrauen. Oder sind jene Sculpturen des Parthenon, 
des Theseus-Tempels u. s. w., die aus Phidias Zeit, vielleicht im Einzelnen 
von seiner Hand, auf unsre Tage sich erhalten haben, nicht das Würdigste 
und Herrlichste, was in aller Plastik geschaffen worden ist? Hatten wir, 
ehe wir sie kennen lernten, ehe sie in Gypsabgüssen über alle Welt ver- 
breitet wurden, einen Gedanken von der unübertreftlichen Vollendung, von 
der göttlichen Hoheit und Keuschheit, welche allen diesen Gebilden ein- 
wohnt? und sollten wir in unserer befangenen Kunstansicht wirklich mei- 
nen, dass .die Meister, die so Erhabenes schufen, dasselbe wieder durch 
barbarische Zuthat verdorben haben würden? Gewiss! wir thun gut, wenn 
wir vor jenen Heroen der Kunst unser Knie in Demuth beugen, wenn wir 
glauben, wo uns nicht zu sehen vergönnt ward. 
Was aber die Meinung der Andren anbetrifft, die eine Bemalung der 
griechischen Plastik als vollkommene Nachahmung der Natnrfarben voraus- 
setzen, so ist hier zu untersuchen, was eine solche Bemalung erreicht haben 
könnte. Wir betrachten nur den nackten menschlichen Körper, da dieser 
der eigentlich fragliche Gegenstand ist. Setzen wir hiebei voraus, dass die 
Griechen Mittel besessen hätten, nicht etwa die Lokalfarben des mensch- 
liehen Körpers in ihrem mannigfachen Wechsel auf den Stein zu über- 
tragen (denn dies ist ein Leichtes), sondern auch für alle einzelnen Partieen 
der Haut, je nachdem ihre Durchsichtigkeit durch Knochen, Sehnen, Adern 
u. s. w., durch den gesammten inneren Organismus verschieden bedingt 
wird, vermittelst entsprechender Bereitung und Handhabung der Farben zu 
modificiren; wie hätten sie zugleich die Wirkung des Lichtes auf die durch- 
sichtige Haut, die verschiedene Wirkung einer veränderten Beleuchtung 
mit allen ihren durch die Natur des Fleisches bedingten I-Ialblichtern, 
Reflexen u. s. w. hervorbringen können? Dies ist unmöglich, und in diesem 
Mangel gerade liegt das Starre, Leblose, Mumienhatte, was alle Versuche 
der Art als ihren unveränderten Stempel zeigen. An ein Hinzumalen der 
Lichter und Schatten auf die Statue ist natürlich gar nicht zu denken und 
bedarf gewiss keiner besonderen Widerlegung. Wollte man jedoch anneh- 
men, dass das Nackte nur durch einen allgemeinen tleischfarbigen Ton 
bezeichnet gewesen wäre, so ist ebenfalls nicht wohl einzusehen, was ein 
solches Verfahren bezweckt haben könnte. Es wäre ein charakterloses 
Mittelding zwischen Naturnachahmung und idealer Darstellung der reinen 
Form gewesen, was der charaktervollen Kunst der Griechen keineswegs 
entspricht. Wir werden auch hier auf das einfache Material des Steines 
und des Elfenbeins für die nackten Theile zurückgeführt. Dass unter diesen 
Verhältnissen auch nicht eine Nachahmung des Stoffes der Gewandung 
vorauszusetzen ist, braucht ebenfalls nicht weiter erwiesen zu werden. 
S0 finden wir denn in der Architektur, wvie in der Seulptur der 
Griechen, deren Vereinigung an den grossen Tempelanlagen stets ein 
grosses Gesammtwerk erscheinen liess, das Gesetz der reinen. einfachen 
Form allerdings als das eigentliche und bestimmende festgehalten; wir
	        
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