Volltext: Kleine Schriften und Studien zur Kunstgeschichte (Bd. 1)

der 
die Polychromie 
Ueber 
griechischen Architektur 
325 
Ein "solches scheint in der späteren Zeit der griechischen Kunst wirklich 
aufgekommen zu sein, wie es, nach dem Vorbilde solcher Werke, bereits 
von Winckelmann dargelegt wurde. Wir geben diese Darlegung mit seinen 
Worten:  "Die Augen liegen an idealischen Köpfen allezeit tiefer, als 
insgemein in der Natur, und der Augcnknochen scheinet dadurch erhabener. 
T iefliegende Augen sind zwar keine Eigenschaft der Schönheit, und machen 
keine sehr offene Miene; aber hier konnte die Kunst der Natur nicht alle- 
Zeit folgen, sondern sie blieb bei den Begriffen der Grossheit und des 
hohen Styls. Denn an grosseii Figuren, welche mehr, als die kleineren, 
elltfernt vom Gesiehte standen, würden das Auge und die Augcnbraunen 
in der Ferne wenig scheinbar gewesen sein, da der Augapfel nicht wie 
in der Malerei bezeichnet, sondern mehrentheils ganz platt ist, wenn der- 
Selbe, wie in der Natur, erhaben gelegen, und wenn der Augenknochen 
eben dadurch nicht erhaben gewesen. Die Kunst ging also hier von der 
Natur ab, und brachte auf diesem Wege durch die Tiefe und durch die 
Erhabenheit an diesem Thcil des Gesichts mehr Licht und Schatten hervor, 
wodurch das Auge, welches sonst wie ohne Bedeutung und gleichsam 
erstorbeu wäre, lebhafter und wirksamer gemacht wurde" 1).  Die Noth- 
wendigkeit einer solchen Bezeichnung also giebt Winckelmann zu; aber 
wie findet er dieselbe ausgeführt? Durch eine absichtliche (wenn auch 
mehr oder minder nur geringe) Entstellung der schönen Form, um so eine 
gewisse malerische Wirkung zu erreichen; durch eine malerische Wirkung, 
die natürlich nur auf ein besonders einfallendes Licht berechnet sein konnte, 
und bei einem WVechsel desselben wiederum ganz aufgehoben wurde.  
Noch ein andres Mittel ist jene, ebenfalls spätere und namentlich heute 
vielfach angewandte Weise, die lris des Auges durch einen cingegrabenen 
Ring und die Pupille durch einen Punkt anzudeuten. Hier also gerade- 
hin eine der Farbe nahekommende Bezeichnung des Augeusternes, die aber 
die Form des Auges an sich zerstört und bei ungünstiger Beleuchtung 
wiederum mannigfache Missstände hervorbringt. Wie einfach und natur- 
gemäss erscheint gegen beide YVeisen jenes ältere Mittel! 
Dann ist es die Färbung der Gewänder und der sonstigen Schmuck- 
tlieile, welche den Gegnern der Polychromie anstössig wird. Hierin scheint 
uns ein gewisses, der Architektur VETWaUÖtOS Gesetz zu liegen, welches 
die verschiedenen Theile des Bildwerkes bestimmt und gleich für den 
ersten Blick, von einander sondert, während natürlich ihre Gesammteinheit 
durch die selbständige Masse der Form unverletzt bleibt. Auch diese Son- 
derung, welche das Verständniss des Ganzen erleichtert, scheint in der 
späteren Kunstzeit durch einen eigenthümlich berechneten Wechsel von 
Lieht- und Schattenpnrtieen hervorgebracht zu sein, deren Wirkung jedoch 
ebenfalls von einer ganz vereinzelten Beleuchtung abhängig sein musste 
und bereits in das Gebiet des Malerischen streift, _wäbrend die Plastik 
Eben nur die Form an sich (die natürlich durch Farbigkeit einzelner Theile 
nicht zerstört werden kann) zum Gegenstände halb Hlemn reiht Sich dann 
von selbst die Farbigkeit der einzelnen, Oben angeführten Schmucktheile, 
In deren Anwendung freilich sowohl ein Maass als ein Uebermaass Statt 
  Geschichte der Kunst des Alterth.  C- 5, 5-_21. Dass das Auge- 
lührte nur von Werken der späteren Kunstzext gxlt, _bewe1st der Augenschein in 
einer jeden, nur einiggrmaassen vollständigen Gallene von Antikeupder Gyps- 
Abßüssen.
	        
Waiting...

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.