Ueber
die
Polychromie
der
griechischen
Architektur
etc.
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Der grosse Tempel von Rhamnus zeigt eine Wiederholung dieser Form;
am Tempel der Minerva Sunias erscheint eine Welle mit Herzblättern statt
des Eier-Stabes, was schon als beginnende Ueberfeinerung zu betrachten ist.
Die Anordnung des Gebälkes über der Cellenwand ist sehr ver-
schiedenartig. An den sicilischen und grossgriechischen Moniimenten zeigt
sich in der Regel der Frics des Aeusseren mit Metopen und Triglyphen
wiederholt, was ebenfalls von schwerer Wirkung ist. An den attischeii
erscheint der pries Ohne Ti-iglyphen, entweder ringsumher, oder an den
bedeutendsten Stellen, mit Bildwerk geschmückt. Unter dem Bande des
Architravs sind dabei jedoch häufig, in Erinnerung des äusseren Frieses,
die Riemchen mit den Tropfen, entweder in den regelmässigen Abständen
oder ununterbrochen fortlaufend, als freie Zierde angewandt. Ueber dem
Friese zeigen sich verschiedene breite Bänder, unter und zwichen den
Deckbalken, welche von Gliedern einer bewegteren Formation geschieden
und getragen werden. Die Deckenbalken, die Deckplatten, die Cassetten
sind an ihren oberen Tlieilen mit einem Viertelstabe in der Gestalt eines
Echinus versehen, welcher das Gesetz des 'l'ragens, das hier wiederum
entschiedener hervortritt, am bcstimmtesten ausspricht.
Ueber das Innere der Cellen wissen wir sehr wenig. Doch kommt
dasselbe auch wenig in Betracht, da die gesaminte griechische Architektur
nur auf die äussere Erscheinung für das im 'l'empelh0fe versammelte Volk
berechnet war. Der Hypäthros enthält im Innern wiederum nur ein Aeus-
seres, einen offenen, mit Peristylen umgebenen Raum, was notliwendig eine
ähnliche Formation der Details hervorbringen musste.
Werfen wir noch einen Blick auf die ionisehe Ordnung und ihre
Durchbildung in den attischen Monumentcn. Der weicheren Canelliriing
im Allgemeinen, der straff gebildeten Basis an den athenisclien Gebäuden,
die dem Druck der Säule auf den Boden eine zugleich leichte und kräf-
tige Gegenwirkung leistet, ist bereits gedacht worden. Im Kapital erscheint
der Echinus mehr untergeordnet; statt des unbeweglichen dorischen Abakus
sieht man jene reichen Voliiten mit ihrem Kanale, die wie ein elastisches
Polster zwischen Architrav und Echinus liegen und dem Aufstreben des
letzteren einen lebendigen Gegendruck entgegensetzen. Der aktive Theil
ist der mittlere Kanal, der sich in einer bestimmten Schwingung gegen
den Echinus nicderscnkt; seine eigentliche Kraft aber ruht in den Schnecken,
die nach Art einer elastischen Feder gewunden sind und aus deren Augen
stets neues Leben auszuströmen scheint. An den attischen Monumenten
findet sich überall jene untere Schwingung des Kanales; an den kleinasia-
tischen dagegen selten, ihr Kapital ist somit zumeist ohne Ausdruck, und
ihre Schnecken erscheinen als ein fast inhaltsloser Schmuck. Die obere
Linie des Kanals ist stets in Ruhe, denn hier findet nurdie ruhige Ein-
wirkung des Architravs, durch eine dünnere Deckplatte von zierlicher
Formation vermittelt, Statt. Am Erechtheum enthalten die doppelrinnigen
Schnecken eine Verdoppelung jener htielist belebten Wirkung und demzu-.
folge, um das Uebrige des Kapitals mit ihrer vergrösserten Gestalt in Hau
monie zu 501191], eine reichere Ausschmuckiing desselben. Merkwürdig
sind die ionischen Kapitälc im Temnel von Bassae, wo der obere Saum
des Kanals gegen den Architrav hin geschwungen ist; doch sind uns
(118 Kapitän, in einem zu mangelhaften Zustande erhalten (sie WitPOIl vgy-
inuthlicli rcicli mit metallischem Schmucke versehen), als dass sich aus