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Vorstudien
-Geschichte.
Architektu r-
Grosse eine Wehr gegen diese Auflösung herzustellen suchte; dass die
orientalische Architektur auf's Neue sich den Häfen Italiens näherte, und
dass sich, an den Küsten von Istrien und von Venedig, jene grosse Um-
urandlung der Baukunst vorzubereiten begann, welche nachmals, mit dem
Beginn des elften Jahrhunderts, zuerst bei uns, sodann in dem gesamrnten
übrigen 'I'heile des Occidents bewirkt wurde. Das einzige Gebäude von
einiger Bedeutung, an welches man, in italienischen Gegenden, in diesem
zehnten Jahrhunderte die Hand legte, ist die lateranensische Basilika, welche
Papst Sergius III. aus den Trümmern, darin sie schon seit mehreren Jahren
lag, wieder emporsteigen liess. Aber es wurde (lies Werk zu den Wun-
dern gerechnet, sogar fehlte es an menschlichem Beistand: non enim erat
spes, neque solatittnz de restitutione illius, wie der Diakonus Johannes, der
zu jener Zeit lebte, schrieb 1).
Der wirkliche Anfang der Wiederbelebung der Architektur bei uns,
jedoch, wie ich (oben) gesagt habe, mit Principien, welche sich von denen
der antiken Kunst sehr unterschieden, W?" im elften Jahrhundert; das
glücklichste Jahrhundert für Italien, oder, wenn es so besser scheint, das
mindest rohe und unglückliche, soviel deren seit den glücklichen Tagen
des Trajan und der Antonine vertlossen waren. Damals, vermöge der Ge-
genwirkung gegen das Feudalwesen, vermöge der Privilegien, welche den
Gemeinden ertheilt wurden, und vermöge der anderen weisen Anordnungen
des ersten der Ottonen, der hicdurch, auch bei uns, fast wider unseren
Willen, der Grosse genannt werden muss, erstanden auf's Neue der Geist
und die Industrie der Italiener, vervielfältigten sich die Schulen, belebte
sich der Handel, wurden unsere Häfen in Kurzem die Emporien des ge-
sammten Occidents, und zögerten auch die zeichnenden Künste, welche
stets dem öffentlichen Glücke folgen, nicht, neue Lebenszeichen zu geben.
Damals sah man eine jede Stadt ihre alten Ruinen wiederherstellen, den
Umkreis ihrer Mauern ausdehnen, und mit den anderen wetteifern, welche
von ihnen die bedeutendsten und prächtigsten Gebäude aufführen würde.
Venedig und Pisa, die sich bereits grosser Reichthümer durch ihren Handel
mit dem Orient erfreuten, waren die ersten, welche das edle Beispiel gaben,
und ihre Kathedralen, die gerade in diesem elften Jahrhundert entstanden,
sind bewunderungswürdige Werke auch für unsere Tage. Ihnen folgten
die Gemeinden von Ancona, Modena, Lucca, Ferrara, Verona, Bergamt),
Mailand, Pistoja, Rom, Parma, Piacenza, und von allen anderen bedeu-
tendern Städten der Zeit. Auch die Reformen des Mönchswesens, welche
in dieser Zeit in dem gesammten Occident statt fanden, trugen nicht wenig
zur Erneuerung der alten zerstörten Abteien und zur Verbreitung des neuen
Baustyles über die Alpen bei. Derselbe Geist der Religion, welcher in
diesem Jahrhundert ganz Europa mit einem heiligen Eifer entflammte und
zum Zuge in das heilige Land antrieb, derselbe Geist belebte bei uns auch
die Architektur und mit ihr nach und nach die bildenden Künste, ihre
treuen Begleiterinnen.
Auch Pavia behauptete in jenen Tagen eine der ersten Stellungen unter
den bedeutenderen Städten Italiens, und bereits am Ende des elften Jahr-
hundcrts regierte es sich nach eigenen Gesetzen; sein Reichthum ist zur
Genüge an dem damaligen, höchst ausgedehnten Umlauf seines Geldes zu
erkennen. In dieser Zeit nun, d. h. gegen den Schluss des elften Jahr-
Muratori
Annali
d'Italia,
1111710
907.