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Vorstudien
Architektur-Geschichte.
sind bemerkbar genug, um dieselben als charakteristische Unterscheidungs-
zeichen der früheren von den späteren Basilikcn hinstellen zu können: wir
wollen dieselben näher untersuchen.
Eine dieser Eigenthümlichkeiten, die mir besonders häufig an den hei-
ligen Gebäuden des neunten Jahrhunderts aufgefallen ist, besteht in der
Gestalt und der grösseren oder geringeren Anzahl ihrer Fenster. Die
Basiliken aus den ersten Jahrhunderten des Mittelalters, von Constantin bis
auf Karl den Grossen oder bis kurz vor der Regierung dieses Fürsten,
hatten in der Regel eine grosse Anzahl weiter Fenster; die Gebäude selbst
waren sehr geräumig, gleich den profanen Basiliken dcr Alten, welche
ursprünglich zum Vorbilde jener gedient hatten. Gegen die Mitte des achten
Jahrhunderts aber, als die Neuerungen der Byzantiner und Araber in den
westlichen Ländern Eingang fanden, ward das Licht verhasst und man ver-
langte Fenster von immer schmalerer, mehr länglicher, engerer Form, mit
divergirenden Seitentlächen, und in geringerer Anzahl.
Viele Beispiele über die Eigenthümlichkeiten der Fenster sind bereits
von Ciampini beigebracht 1); ich könnte diesen nicht wenige aus eigener
Beobachtung hinzufügen. Doch mögen die folgenden, für frühere sowohl,
als spätere Zeit, als Beweis für meine Behauptung genügen. ln Rom exi-
stiren noch in ihrem früheren Zustande eine Menge der alten Fenster in
der von Constantin errichteten Basilika S. Maria maggiore; sie sind weit
und von regelmässiger Form, im Verhältniss der Höhe zur Breite wie 8
zu 5. Ebenso waren die Fenster der alten Basilika des heiligen Petrus
auf dem Vatikan, nach den Berichten Ciampinis und nach den Zeichnun-
gen Alfaranosr), von beträchtlicher Weite, und zwar im Verhältniss von
4 zu 3. Auch die Fenster von S. Paolo fuor delle mura, von den Rotun-
den S. Costanza und S. Stefano, von S. Martino ai monti, S. Sabina, über-
haupt aller römischen Kirchen aus dem vierten, fünften und sechsten Jahr-
hundert, ehe sie in folgender Zeit mehr oder weniger verändert wurden,
entsprachen dieser Einrichtung.
Dasselbe habe ich auch in Ravenna bemerkt, wo die Fenster der präch-
tigen Basilika S. Apollinare in Classe, aus den Zeiten der Gothen und des
Justinian, sehr zahlreich und weit, so breit wie hoch, sind. Dasselbe
Verhältniss bemerkt man auch in denen von S. Vitale, obgleich diese, dem
Styl des Gebäudes entsprechend, von anderer Form sind. mit Säulchen in
der Mitte. Und so überhaupt sind in Ravenna die Fenster von allen
anderen Gebäuden aus den Jahrhunderten des Honorius, des Galla Placidia
und des Theodorichß).
An der Kathedrale von Pola hingegen. an der Basilika S. Clemente al
monte Celio und all allen andern Kirchen des neunten und folgenden Jahr-
hunderts sind oder waren alle, zum ursprünglichen Bau gehörigen Fenster
Sehr klein und in der angegebenen Weise eingerichtet. Die wenigen , in
San Clemente noch Vürhandenen alten Fenster sind so lang und so eng,
dass das Verhältniss ihrer Dimensionen wie 5 zu 1 ist. Einen sonderbaren
Umstand bemerkt man in einer der ältesten Basiliken, dass nämlich die-
selben Fenster die Anfangs weit waren, im neunten oder zehnten Jahr-
hundert Verßrlgert, nachmals aber, gegen das vierzehnte Jahrhundert, auf's
Neue erweitert werden sind. Und nicht selten endlich-ist es, dass man
1] Vetera monim. V. I; c, 9; p. 75_
3) Amadesi: Ohren. antist. ravennatum.
2) Severano.
Vol. I, p. 91.
Mevnorie sacre.