vom J ahr
Reiseblätter
1834.
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hältnisseii. Die Kanzel ist mit aumuthigen, sehr geschmackvollen spät-
gothischen Sculpturen geschmückt.
Der Dom besitzt eine nicht unbedeutende Anzahl von Monumenten der
Plastik und Malerei. Das älteste unter jenen istdas Grabmal des Gegen-
königs Rudolph von Schwaben (gest. 1080), eine Bronzeplatte, welche die
Figur des Königes in sehr wenig erhobenem Relief, in einfach strengem
byzantinischem Style darstellt. Es ist über dasselbe kürzlich eine Abhand-
lung im Druck erschienen: „Ueber das Grabmal des Königs Rudolf von
Schwaben zu Merseburg von P. A. Dethier. Nebst einem Kupferstich dieses
Grabmales. Ans den Mittheilungen des Thüringisch-Sächsischen Vereines
besonders abgedruckt. Halle, 1834." Der erwähnte Knpferstich giebt im
Ganzen ein ziemlich trcues Bild; nur ist der Styl nicht strenge genug
gehalten und zuviel Natur in den Händen, auch ist ein zu starkes Relief
angedeutet. Die Abhandlung crwciset mit hinreichenden Gründen die Aecht-
lieit des Monumentes, dass es nämlich unmittelbar nach dem Tode des
Königs gefertigt sei, und enthält sonst dankenswerthe Mittlieilungen. Ausser
diesem sind noch eine Reihe späterer, gleichfalls nicht unwichtiger bronzener
Grabmäler im Deine vorhanden.
Unter den Gemälden zog mich vor allen eins an, welches an einem
der ersten Pfeiler des Schiffes hängt. Es stellt auf dem Hauptbilde, in
höchst anmuthiger und edler Coinposition, eine Vermählung der heiligen
Katharina dar, auf den Seitentlügeln andere Heilige, und wird für ein
Dürefsches Werk gehalten. Sehr Vieles erinnert allerdings an Dürer, na-
mentlich die Köpfe der männlichen Heiligen; ebenso die Weise der Malerei,
die dünnen Lasuren im Schatten und die leichten, doch pastos aufgesetzten
Lichter. lin Gefalte scheinen dagegen, wiewolil nur im Einzelnen, fremde
und zwar neuere Motive bemerkbar, auch hat der Ausdruck im Kopf der
Madonna Etwas, das mir sonst nicht an Dürer vorgekommen, nämlich eine
gar grosse Weichheit und Kindlichkcit. Vor der Hand wage ich nicht zu
entscheiden, 0b das Bild von Dürer selbst oder von einem sehr geistreichen
Nachahmer herrülirt; auf jeden Fall ist es eins der anmuthigsten Kunst-
werke, welche mir seither zu sehen vergönnt war. Von dem (sogenannt)
Cranaclfsclien Gemälde, welches über den Chorstühlen steht, ist, wie mich
dünkt, schon öfter die Rede gewesen. Es stellt auf der Vorderseite die
Kreuzigung (Luther unter den Feinden des Herrn), auf der Rückseite die
Grablegung dar; letztere eine edle und würdige Composition, wie sie nicht
zu oft bei Cranach vorkommt; sie erinnert lebhaft an seine schöne Darstel-
lung desselben Gegenstandes, welche, leider sehr beschädigt und vergessen,
in der Klosterkirche zu Berlin hängt. Noch sind eine Menge anderer
Bilder der altdeutschen Schule im Merseburger Dom vorhanden; so im Chor
zwei kleine Schreine mit Schnitzwerk und gemalten Seitenflügeln, welche
letztere, soviel sich in ihrem gegenwärtigen Zustande darüber sagen lässt,
etwas dem Hemling Verwandtes zu haben scheinen; so hoch oben im süd-
lichen Kl-euzflüge], nur durch ein gutes Fernglas erkennbar, ein sehr grosses
Bild mit christlich allegorischen Darstellungen die Jungfrau in der Mitte,
in deren Schooss das Einhorn flüchtet, feierliche Heiligengestalten zu den
Seiten, im Grund eine weite Landschaft; so viele andere an anderen
Stellen; alle aber mehr oder minder unbeachtet, verstaubt, zum Theil muth-
Wimgen Vcüetznngen Preis gegeben. Es ist wahrlich betrübend,_ der-
gleichen noch heutiges Tages in einer der Hauptkirchen des Preussisclien
Staates wahrzunehmen; in Süddeutschland ist nur kein ähnliches Beispiel