Volltext: Kleine Schriften und Studien zur Kunstgeschichte (Bd. 1)

III. 
Reiseblätter vom 
Jahr 
1832. 
129 
liche blumengeschmückte Thürmchen, und von ihnen sind freie Bögen an 
die Wand des Mittelsehiffes hinübergeschlagen, als Widerlagen des Haupt- 
gcwölbes. Von roherer Arbeit leider sind die Thürme, die wenig von 
der, den schöneren gothischen Gebäuden eigenen, pyramidalen Abstufung 
zeigen und mit ihren grossen, leeren Schalllöchern die Harmonie des Gan- 
zen unangenehm stören. Auf dem, mit einer dnrchbrochenen Brüstung 
versehenen Gange, der hier, wie am Magdeburger Dome, um das Dach 
umherläuft, hat man eine schöne, weite Aussicht, insbesondre auf das nahe- 
liegende Harzgebirge; schöner aber noch, als diese Fernsichten dünkten 
mich die Niederblicke auf die einzelnen, malerisch durcheinander gescho- 
benen Thcile des Domes selbst, des Kreuzganges, u. s. w. 
Ich habe indess nicht die Absicht, eine detaillirte Beschreibung des 
Halberstädter Domes zu liefern; es war mir auf meiner Reise wesentlich 
nur um die Entivickeluiigsmomente der deutschen Kunst zu thun. Dahin 
gehört hier der auf der westlichen Seite befindliche Unterbau der beiden 
'l'hürme, etwa bis zu dem Gesimse, welches durch einen rnndbogig ver- 
zierten Fries getragen wird. Dieser Unterbau, welcher in seinen einzelnen 
Theilen nichts mehr von den schweren gedrückten Verhältnissen des frü- 
heren Rundbogenstyles hat, sondern in die Periode seiner späteren zier- 
licheren Entwickelung und seiner Vermischung mit dem leichteren Spitz- 
bogenstyl gehört, gilt somit als ein Ueberbleibsel jenes Baues, der, nach 
dem Dombrande irn Jahre 1060, aufgeführt und im Jahre 1071 vollendet, 
im Jahre 1179 aber von Heinrich dem Löwen auf's Neue zerstört wurde 1). 
In den I-Iauptformen ist hier bereits der Spitzbogen angewandt, in den 
Nebenformen aber noch der Rundbogen, und namentlich der nach der 
Art der gothischen Rose gebrochene Rundbogen, durchgehend. Die ziem- 
lich schlanken Säulen haben gleichfalls nicht mehr das-Würfelkapitäl mit 
den abgestumpften unteren Ecken, sondern ein Kapitäl, dessen Grundform 
durch eine einfache Hohlkehle oder durch eine Hohlkehle mit darüberlie- 
gender Platte gebildet wird; letzteres ist durchweg mit einem sehr sauber, 
oft völlig durchbrochen gearbeiteten Rankengetlecht belegt. Von besondrer 
Schönheit ist das zwischen den beiden Thiirrncn befindliche Hauptportal. 
In der Hauptforrn, wie gesagt, durch einen Spitzbogen überwölbt, zerfallt 
es in zwei einzelne, durch einen Pfeiler mit davor befindlicher Säule, ge- 
sonderte Thiiren 2); die WVölbung der Thüren ist im Halbkreisbogen und 
wird von der bekannten, aus kleinen Rundbögen zusammengesetzten Ver- 
zierung umgeben, welche bei den entsprechenden Gebäuden unter den Ge- 
Simsen hinzulaufen pflegt. Ueber diesen Tliürwölbllligßllxumfäßst von dem 
genannten grossen Spitzbogen, ist eine zierliche, kleine Saulenstellung, und 
in den Ecken sind die vier geflügelten Symbole der Fvangehsten ange- 
bracht; darunter noch ein schreitender Löwe, dessen Bedeutung ich nicht 
verstehe. Oberhalb des Portals ist ein gYOSSGSi kreisrunde?! Fenster, gleich 
den Thüren von jener rundbogigen Verzierung umgeben. Zu den Seiten 
des Portales endlich sind verschiedene Säulenmassen, welche einen beson- 
i) Fiorillo a. a. O. II., S. 155.  Die Daten si;     
in die erste Hälfte des 13. Jahrhunderts(hinabzurückenfdDig birilihtsipzääe Säen, 
nologie in Betreü des Halberstädter Domes wird im Fortschritt diese? Salgml m- 
ihre entsprechende Stelle finden.)  z) Der Schaft dieser Säule ist später wzang 
genommen und statt dessen die Statue des heiligen Stephanus des Schutz atrog- 
der Kirche, hingesetzt. ' P "s 
Kilgler, Kleine Schriften. l. g
	        
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