Volltext: Kleine Schriften und Studien zur Kunstgeschichte (Bd. 1)

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Deutsche Kirchen 
und ihre 
Denkmäler. 
nisirenden Sculpturen, namentlich des zehnten und elften Jahrhunderts. 
häufig eigenen Dickbäiuchigkeit, auch ist der Faltenwurf ohne ausgezeichnete 
Eigenthümlichkeit,  andrerseits haben sie in ihren kurzen plumpen Ver- 
hältnissen, in der Form ihrer grossen, gewölbten, dreieckigen Schilde, die 
um den Hals hängen, und ihrer spitzen, von einer Krone umgebenen Helme 
viel Aehnliches mit den Miniaturen einer Handschrift des Wilhelm von 
Oranse, deren im dreizehnten Jahrhundert geschriebene Fragmente in der 
Heidelberger Bibliothek aufbewahrt werden 1). 
Ausser einigen Madonnenstatuen, die ungeachtet der langen, schweren, 
zum Theil schlaffen Linien ihres Faltenwurfes einen gewissen Liebreiz 
nicht verbergen, sind unter den anderen plastischen Monumenten des 
Domes vornehmlich die Statuen zu nennen, welche sich in der nördlichen 
Vorhalle, dem Paradiese, befinden, und eines Theils das alte und neue 
Testament, andern Theils die klugen und die thörichten Jungfrauen dar- 
stellen. Letztere namentlich, lange gestreckte Figuren, die, nicht ohne 
Grazie, in der Gewandung zuweilen einen edeln Faltenwurf zeigen, sind 
ein Beispiel des eigenthümlich deutschen Styles in der Bildnerei des Mit- 
telalters, welcher sich gleichzeitig mit dem Spitzbogenstyl in der Baukunst 
entwickelt. Sie sind bemalt, die Gewänder mit Mustern. 
Bei weitem das wichtigste Monument für die weitere Entwickelung der 
deutschen Sculptur ist aber jenes von Peter Vischer im Jahre 1497 vollen- 
dete Grabmal des Erzbischof Ernst; es betindet sich in der „Kapelle un- 
serer lieben Frauen unter den Thürmenft welche durch ein sehr zierliches, 
mit den schönsten, reingothischen Ornamenten versehenes Gitter von dem 
Schiff der Kirche getrennt wird. Das Grabmonument gehört unter die 
früheren Arbeiten des Meisters (doch war er bei dessen Vollendung wohl 
schon über 40 Jahr alt). und der Styl desselben trägt, in den kurzen, ge- 
drungenen Figuren, in den scharfen, eckig gebrochenen Falten, noch ganz 
das Gepräge der Zeit: mir scheint dieser Styl, im Gegensatz des oben er- 
wähnten eigenthümlich deutschen, im fünfzehnten Jahrhundert von den 
Niederlanden aus über die Nachbarländer und insbesondre über Deutsch- 
land, wesentlich durch die überwiegende Kraft der Eyclüschen Schule in 
der Malerei, sich verbreitet zu haben. Wohl ist schon dieses Werk, davon 
wir sprechen , eines erfahrenen, eines sinn- und gemüthreichen Meisters 
nicht unwürdig; wie Peter Vischer aber, nachdem er bereits lange Jahre 
den gleichen Pfad mit seinen Zeitgenossen gegangen war, plötzlich in jenen 
wunderbaren Apßftelgestalten am Sebaldusgrabe zu Nürnberg, deren Yoll- 
endung erst in seinbeginnendes Greisenalter (1519) fällt, einen so verän- 
derten, einen so irßlell, so hocherhabenen Flug nehmen konnte, das ist ein 
Räthsel, desscll genügende Lösung wir schwerlich in einem von ausseu 
hinzugekßmmenßn Anstoss finden dürften, etwa in einer zweiten italieni- 
Reise, deren Möglichkeit nur mit Mühe nachgewiesen wird 2). Wir kommen 
noch einmal auf diesen Gegenstand zurück, wenn unsere Pilgerschaft uns 
z" jenem höchsten Heiligthum deutscher Kunst geführt haben wird.  
Von Gemälden sah ich hier nichts Bemerkenswerthes. liierkuürdig 
nlag Jenes alte Abbild des Schweisstuches der Vcronika gewesen sein, 
flossen Koch in seiner Beschreibung des Magdcbilrgcr Domes (S. 58 u. 104) 
unstreitig 
geschildert 
1) Vergl. Obßll S- 4 u. 6. Auch die: genannten Statuen gehören 
erst i" das (lreizöllnfß Jahrhundert.  3) S. Nümbergische Künstler, 
nach ihrem Leben und Werken, Heft IV.
	        
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