VIERTES
CAPITEL.
J ugendwerke
in
Venedig
und
Padua,
Kein Abschnitt im Leben Tizian's ist von venezianischen Ge-
schichtsschreibern vollständiger vernachlässigt worden, als der-
jenige, welcher zwischen seine Lehrzeit unter Zuccato und die
Tage seiner Immatriculation fällt. Aber auch von der unmittel-
bar folgenden Periode wissen wir gar wenig, und die gemeinsame
Arbeit Tizian's und Giorgionds am Fondaco de' Tedeschi, obschon
entscheidend für die Laufbahn Beider, ist bis jetzt noch in dichtes
Dunkel gehüllt.
Der Fondaco, gegenwärtig ein östlich der Rialtobrücke am
grossen Canal liegendes öffentliches Dienstgebaude, war in seiner
ursprünglichen Gestalt das den „Tribunen der Rialtoinsel" vor-
behaltene Wohnhaus; indess schon zu Anfang des dreizehnten
Jahrhunderts wurde dasselbe in eine Herberge zur Benutzung
für deutsche Kaufleute umgewandeltf Urkundlich erscheint es
schon i. J. 1228 als ein Staatsgebäude, das ausschliesslich zu
Gunsten der Ausländer unterhalten wurde, denn der Name "Deut-
scher" oder „Teutonicus" umfasste damaliger Zeit nicht blos die
verschiedenen Nationalitäten des eigentlichen Deutschlands, son-
dern auch Savoyer, Böhmen, Ungarn und Polen? Den Ange-
1 s. Th. E1ze's Aufsatz „Der Fondaco dei Tedeschi in Venedig" in der Zeit-
schrift „Das Ausland" 1870. Nr. 27.
2 Dr. G. Thomas: Capitolare dei Visdomini del Fontego dei Tedeschi in
Venezia, Berlin, F01. 1874. S. 137 und 227. Felix Faber, ein Dominikaner aus