CAP.
III.
VENEDIG
AM ANFANGE DES FÜNFZEHNTEN JAHRHUNDERTS.
ä
Unruhen auf lange hinaus gestört. Wir sahen bereits, mit welch'
unabänderlicher Consequenz der venezianische Staat die Unter-
pfänder seiner Suprematie in den levantisehen Meeren verlor:
Konnten die Politiker dieses künstlichen Staatswesens sich die
Fähigkeit zutrauen, die an der Peripherie der mittelländisehen
Welt verlorenen Stützen ihrer Macht durch die Erweiterung des
territorialen Besitzes in Italien zu ersetzen? Durften sie vernünf-
tiger Weise hoffen, in Pisa oder an den Küsten Apuliens ihre
Herrschaft dauernd zu behaupten, während man doch von allen
Seiten der Windrose her der Gefahr einer Invasion durch Mächte
hlosgestellt war, welche auf der compakten und organisch wach-
senden Kraft selbstbewusster Nationalität beruhten?
In der That musste man sich am Schlüsse des fünfzehnten
Jahrhunderts in Venedig wohl gestehen, dass die Existenz des
Staates abhing von der Verschlagenheit und Geschicklichkeit im
Abschluss von Allianzen, und die Geschichte hat bewiesen, in
welchem Grade man diese Kunst in Venedig zu üben erlernte,
Dank der vollendeten Rücksichtslosigkeit gegen die öffentliche
Moral und Dank der Verbindung von Scharfblick und Tücke, die
zu allen Zeiten unergründlich und verrätherisch, den Anschein
wirklicher Macht gewann. '
Im Jahre 1495 schloss die Republik ein Bündniss mit dem
Papst, dem Kaiser, dem König von Spanien und den Herzögen
von Mailand, Ferrara und Bologna gegen Karl VIII. von Frank-
reich. 1498 verband sie sich mit Frankreich gegen Neapel und
Mailand, um die Türken dadurch zu treffen und die Grenze der
Adda zu erlangen. In den nächsten Jahren wurden die Erfolge
zu Lande durch die anfänglich glänzenden französischen Siege
unterstützt, aber in Wahrheit mehr als aufgewogen durch Ver-
luste im Ausland und zur See, welche der Macht Venedigs
im Osten den letzten Stoss gaben. Für unsere Betrachtung jedoch
sind die Wechselfalle des Glückes der Republik nur in so fern
von Belang, als an ihnen Persönlichkeiten Theil hatten, zu denen
Tizian in Beziehung stand.
Es ist behauptet worden, Tizian sei um diese Zeit mit dem
Hofe Lodovico Sforza's vertraut gewesen, aber verbürgt ist diese