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AN FÄNgrEyiliNilENEDlG.
CAP.
National-Galeüe hervorbrachte, nur haben die Typen der Ge-
sichter eine unverkennbare Familienähnlichkeit mit Palmafs Vio-
lante in Wien und der „Bella di Tiziano" im Palaste "Sciarra in
Rom. Die Art und Weise, wie das Haar aufgebunden ist, die Be-
handlung des Kostüms, die graulich abgetönte Modellierung sind
palmesk. Diese Belauschung und Aneignung der holden Zuge in
der Kunst jenes Meisters hat vielleicht die Sage in der Erzählung
von Tizian's Liebe zu Palmafs Tochter vermenschlicht. Es zeigt
sich hier aber zugleich die Neigung der neueren Kritik, die
Werke eines Meisters mit denen älterer Zeitgenossen zusammen-
zuwerfen?"
Man kann nicht behaupten, dass Tizian um diese Zeit als
Kolorist und Landschaftsmaler bereits die Höhe Giorgionds er-
reicht hätte. Die "Mädchen" im Palast Borghese halten mit der
Madonna von Castelfranco in diesem Betracht keinen Vergleich
aus, aber der junge Rivale ist dem Meister bereits hart an den
Fersen und droht ihn zu überholen. Ein Nebenumstand verdient
an dem Bilde der Galerie Borghese noch Erwähnung. Der Schau-
platz desselben ist in das idyllische Flachland der venezianischen
Provinzen, nicht in die wild-romantische Gebirgsgegend von Cadore
verlegt, und man könnte daraus schliessen, dass Tizian's Alpen-
heimath in jüngeren Jahren auf den Meister nicht den Eindruck
gemacht habe, welcher auf den Fresken zu Padua so sichtbar zu
Tage tritt. Allein es mag vielmehr ästhetisches Feingefühl ihn
abgehalten haben, einen so prägnant poetischen Gegenstand mit
der machtvollen Naturstaifage seines Berglandes auszustatten.
Es ist jedoch unerlässlich, die so aus der Ferne der Zeiten
vor uns auftauchende Erscheinung Tiziarfs in Zusammenhang zu
bringen mit seiner geschichtlichen Gegenwart. Indem Wir das
thun, müssen wir uns ins Gedächtniss rufen, dass jene Zeit für
Bestand und Zukunft der Markus-Republik sehr verhängnissreich
war. Der Friede der apenninischen Halbinsel war durch schwere
3" Es muss hier erinnert werden, dass die sogenannte "Belle di Tiziano"
der Sammlung Sciarra in Rom nicht dem Tizian, sondern dem Palma Vecchio an-
gehört. Vgl. der Verf. Gesch. der ital. Malerei (deutsch von Jordan) VI. S. 545.