ANFÄNGE IN VENEDIG. CAP. III.
homo so charakteristisch ist, dass er in diesem Betracht kaum
minder bedeutsam erscheint wie der Christus des Zinsgroschensßa
Zu der Zeit, als man Tizian wohl schon für fähig halten
konnte, ein Bild dieser Art zu malen, hatten die Brüder von
S. Rocco zeitweilig ein Gebäude auf dem Platze der heutigen
„Scuola" inne? Als aber diese selbst im Jahre 1517 gegründet
war und nachmals der Name Tintorettds jeden andern hier zu
, verdunkeln begann, sank der Maler unseres Ecce homo in so voll-
ständige Vergessenheit, dass dieses Werk sich unter die „unbe-
kannten" verlor, zu denen es selbst jetzt noch gezählt wird.
Unnatürlich war es keineswegs, wenn Tizian als Jüngling
für S. Rocco in einem an Giorgione erinnernden Stil malte. Soll
er doch für dieselbe Bruderschaft später noch den kreuztragenden
Christus gemalt haben, welcher am Altar einer Seitenkapelle in
äegziicir. der Kirche S. Rocco als ein Tizian gezeigt wird. Dieses merk-
würdige Gemälde, das ebenfalls vor Erbauung der "Scuola" (1517)
gemalt ist, ward zuerst wegen seiner Schönheit bewundert und
dann um der Wunder willen verehrt, die es angeblich verrichtete.
Die Spenden, die vor demselben dargebracht wurden , bildeten
die Quelle des Reichthums, der die Brüder in den Stand setzte,
sich ihr Versammlungshaus neu zu bauen. 25 Und doch hat sich
nur eine zwiespältige Ueberlieierung hinsichtlich des Urhebers er-
halten. Als Vasari nach Venedig kam", mussten die Leute, wie
man annehmen sollte, doch noch recht gut wissen, wer die Maler
ihrer bewundertsten Kunstschätze gewesen waren; dennoch blieb
er im Ungewissen, ob er den Tizian oder Giorgione als den
Schöpfer des wunderthätigen Ohristusbildes zu S. Rocco bezeich-
nen sollte, und wir ünden in seinen Biographieen einmal diesen,
einmal den andern genannt? Liegt hier einfach Nachlässigkeit
23 Vasari XIII. S. 20.
24 Vgl. F. Zanotto, Nuovissima guida di Venezia, 12". Venedig 1863. S. 444
und dagegen Sansovino, Ven. descr. S. 287, 288.
25 Sansovino, Ven. dese. S. 288 und Vasari XIII. S. 26.
25 Vasari VII. S. 85 und XIII, S. 26, Tizianellds Anon. S. IX. beschreibt
das Bild jedoch als Tizian's Werk. Vgl. der Verf. Gesch. der ital. MaL, deutsche
Ausgabe VI. S. 183. .