EFÄÄE
IN VENEDIG.
CAP.
I2
dem die Gefahr einer unpoetischen, lüsternen Behandlung recht
nahe lag.
An den kirchlichen Compositionen im engeren Sinne, gleich-
viel ob in Halb- oder Volliiguren behandelt, lässt sich dem Wachs-
thum der künstlerischen Kraft des jungen Meisters bis zu ihrer
Entfaltung in der Zeit der Paduanischen Reise oder der späteren
Verbindung mit Ferrara ohne Schwierigkeit nachgehen. Am Ende
dieser Wegstrecke seiner Laufbahn ragt der grossartige Christus
mit dem Zinsgroschen hervor, aber die Entstehung eines der in
diesen Zusammenhang gehörigen Gemälde nach den Jahren zu
bestimmen, vermögen wir kaum; wir müssen uns begnügen, zu
wissen, dass sie einen Gedankengang repräsentieren, der oft unter-
brochen, aber immer wieder von Neuem aufgenommen worden,
bis der Strom voll und der Stoff erschöpft ist.
Wien, Neben dem reizenden Madonnenbilde im Belvedere, welches
Behedere" als eine der frühesten Schöpfungen Tizian's anerkannt werden
darf, entzückt uns in derselben Sammlung eine zweite Darstellung
der Maria mit dem Kinde, dem Knaben Johannes und zwei männ-
lichen Heiligen, als Erzeugniss einer reiferen Zeit des Künstlers.
Man sieht beim Vergleich beider Bilder recht deutlich, dass nicht
allein zwischen der Vollendung des ersten und des zweiten Jahre
liegen, sondern dass bereits ein gutes Stück des Weges durch-
messen ist, der zu dem Christus des Zinsgroschens führt. Vor
diesem letzteren Bilde kommt ein anderes in der Scuola di San
Rocco in Venedig in Betracht, das den ßchmerzensmann" dar-
stellt und die Echtheit vorausgesetzt von einer zeitweiligen
Anlehnung an Giorgione Kunde gibt.
Venedig, Der hier verkörperte Vorwurf ist vielleicht unter allen von
3931363; Tizian behandelten Stoffen derjenige, den man am eigentlichsten
als venezianisch bezeichnen kann. Es war ein Lieblingsgegen-
stand Von Antonello, der ihn mehrmals mit seiner realistischen
Kraft wiederholt hat, aber er war bisher so behandelt worden,
dass dadurch mehr die äussseren Zeichen des Leidens als die
inneren, die Ergebung in den Schmerz zur Anschauung gebracht
worden waren. Der Erlöser ist hier wirklich leidend dargestellt,
das Gesicht gesenkt, die Arme über einander gelegt. Die bei