CLIP.
III.
MADONNA IN WIEN.
KLEINE
Wir sehen uns einem Stile gegenüber, der in die Kunst-
weise der Venezianer des fünfzehnten Jahrhunderts zurückführt,
ohne uns einen bestimmten Maler jener Periode ins Gedächtniss
zu rufen. Es erinnert an Bellini, an Carpaccio und Palma Vecchio,
der allgemeine Eindruck, den es hervorbringt, ist aber der einer
schon ziemlich selbständigen, wenn auch noch jugendlichen male-
rischen Originalarbeit.
Das Christkind steht ganz nackt auf steinerner Brüstung, Wien,
hinter ihm die Jungfrau, welche ihm ein Stück Schleiertuch um Belvetmt
die Taille gelegt hat; hinter dieser erhebt sich wieder eine Stein-
brüstung mit der Aussicht auf Landschaft, durch einen halb aus
gestreifter Seide, halb aus grünem Atlas bestehenden Vorhang be-A
grenzt. Diese Beschreibung wird dem Leser zwar zahllose
Erinnerungen an Bilder desselben Inhalts wachrufen, was aber
an unserem Bilde besonders auffällt, ist die einfache Rundung der
Köpfe, die Breite der Gestalt und die Fülle der Formen bei der
Jungfrau und dem Kinde. Der Mann, der eine solche Gruppe
malte, wurde wohl von Schultraditionen und gewissen Durch-
schnittsregeln unterstützt, war aber offenbar innerhalb des Stil-
bewusstseins noch nicht sicher in seinem Geschmack. Er copiert
mit geduldiger Treue Zufälligkeiten im Gewebe und Muster der
Stoffe, zeichnet und entwickelt die Fleischformen mit sicherem
Blick für die Bewegung, er zeichnet und modelliert mit Anmuth
und Feinheit und gibt der Oberfläche eine Glätte, welche viel
Uebung im Kampfe mit den technischen Schwierigkeiten bekundet,
aber einen idealen Typus hat er weder gesucht noch gefunden.
Trotzdem springt hier und da wahres echtes Gefühl hervor in
der Frische der Auffassung, in der schüchternen Zartheit des Aus-
druckes, in anmuthigen Bewegungen und liebenswürdigen kleinen
Zügen; wir weisen z. B. auf das Händchen des Kindes hin, wie
es auf den Fingern der Mutter spielt. Gestalt und Proportionen
erinnern an die alte venezianische Schule. Die Sauberkeit und
Reinheit des Umrisses und der Oberiiäche scheinen von Bellini
herzustammen, die Glätte und perlartige Blüthe des Ganzen ist
anscheinend ein Erbtheil von Palma. Noch lässt sich aber kein
Versuch entdecken, durch Verschiedenheiten der Striche und der