CAP.
ZU
BEZIEHUNG
DEN
BELLINI
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keiten der Oelmalerei mit der Gewissenhaftigkeit des Tempera-
Vortrags zu verbinden, mit welchem Geschick er die Verfeinerung
des Modells im correkten Umriss zur Geltung zu bringen verstand
und beides durch effektvollen Glanz des Tones, harmonische Far-
bencomposition und breite Licht- und Sehattenführung in freier
und sicherer Behandlungsweise hervortreten liess. Carpaccio stand
im Begriff, seinen imposanten Bilder-Oyklus zur Legende der
heiligen Ursula zu componieren; Antonello von Messina, der grösste
Porträtmaler seiner Zeit, der neben Giovanni Bellini zu Giorgi0ne's
gefeierten Vorbildern gehörte, war noch in Thätigkeit. Cima
schickte sich an, durch die Schöpfung jener Altarbilder, welche
uns noch heute vermöge ihres Ernstes und ihrer doch kindlichen
Weihe entzücken, als Colorist mit Giovanni zu wetteifern. In
der Halle des grossen Rathes arbeitete Giovanni Bellini unter
der Oberleitung seines Bruders und mit Luigi Vivarini als Rivalen;
und als junge zukunftreiche Männer, welche der Kunst ihrer
Heimath erst den Stempel aufdrücken sollten, begannen Giorgionc
und Palma eben damals ihre stolze Bahn.
Tiziarfs Beziehungen zu Bellini und seinen Schülern nachzu-
weisen, kann nur versucht werden. Wir nehmen an, Tizian sei
zuerst zu einem unbekannteren Künstler in die Lehre gekommen,
aber nach Ablauf der üblichen Probezeit in die Werkstätten von
Gentile und Giovanni gewandert, als Genosse von Palma und
Giorgione, mit denen er möglicher Weise zu gemeinsamen Arbeiten
verbunden gewesen ist. Wir dürfen dabei nicht ausser Acht
lassen, dass im Jahre 1488 die venezianische Malerei sich in einem
Uebergangsstadium befand. Die Tempera war nicht mehr das
Medium, in welchem zu arbeiten grosse Meister sich willig fanden,
wenn man auch die Schüler noch in der alten Malweise unter-
richtete. Die Männer aber, welche jetzt die Oelpigmente ver-
wendeten,' waren den grössten Theil ihres Lebens in den Tradi-
tionen der Tempera thätig gewesen. Die sorgfältigen Prozesse
und minutiösen Gewohnheiten des alten Systems hafteten ihnen
bei Aufnahme des neuen noch an, wogegen sich bei der jünge-
ren Generation bereits der Hang bemerkbar machte, die Bequem-
lichkeiten, welche die Oelmalerei einmal erlernt natu1'-