TIZIAN'S
HEIMATH
UND
H ERKU N FF.
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hübsche Geschichte mit Zweifeln und Fragen kranken zu müssen,
aber hätte Tizianello wenigstens vom Safte wilder Früchte ge-
sprochen, die der kleine Tizian zuerst zum Malen verwendet,
dann wäre ein Schein von Glaubwürdigkeit zu retten; allein solche
Anekdoten haben immer das Unglück der Wunder, durch Leicht-
gläubigkeit übertrieben zu werden, und es ist Wahrscheinlich eine
Folge von Tizianellds Geschichtchen, dass man nun wirklich im
Innern eines der Nachbarhäuser am Orte ein Madonnenbild zeigt,
das Tizian als Kind gemalt haben soll. Es ist ein Fresko in der
früher von einem Zweig der Familie Sampieri bewohnten Casa
Vallenzasco in Pieve di Cador, und das Haus wurde im Laufe
der Zeit durch Anbauten dergestalt verändert, dass eine der ehe-
maligen Umfassungsmauern jetzt Innenwand geworden ist. Was
das Bild selbst anbelangt, so hat es arg gelitten; alte Farben-
bestandtheile sind abgefallen und dafür neue eingefügt, immerhin
aber lässt es sich noch classiiicieren:
Pieve a1 Maria sitzt im Armstuhl am Fenster; sie hält das stehende
ßlfllilzfjjäKind auf dem Knie und wendet den Blick einem Engel zu, der
zu ihren Füssen kniet; durch eine Oeffnung hinter dem Tapeten-
vorhang sieht man Hügel und HimmeLM
Die Zeichnung ist in der That kindisch und man hat allen
Grund, das Bild für die Arbeit eines Knaben zu nehmen aber
welcher Zeit gehörte dieser Knabe an? Als Tizian nach Venedig
kam, ging das Quattrocento zwar schon auf die Neige, aber der
Kunstcharakter der Zeit war noch ausgeprägt genug. Man muss
sich vergegenwärtigen, dass es die Periode der Hauptthätigkeit
Giovanni Bellini's War, von der die Rede ist, die Zeit, in welcher
24 Girolamo de Renaldis, Verfasser des Sagg-io storico della pittura. Friulana,
Üdine 1793, S. 63 und 97, hält die von Tizianello beschriebene Madonna und die
in Oase. Sampieri auseinander, nimmt aber an , die erstere sei untergegangen und
dann die zweite von derselben Hand ausgeführt; dabei beschreibt er das Fresko als
monßßhrom und sagt, es befände sich ein Engel dabei, Welcher knieend der Ma-
donna ein Täfelehen darhielte; beides aber ist falsch. Das Wandbild, im ersten
Stockwerk, ist schlecht erhalten. Marizfs Kopf ist nach links gewandt, der des
Knaben, welcher die Weltkugel hält, nach rechts; der Engel, dessen Flügel fast
zerstört sind, ruht auf dem rechten Knie, er faltet die Hände im Gebet, und was
Renaldis für ein Täfelchen gehalten hat, ist der Arm des Stuhles der Maria. Von