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IN VENEDIG.
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Schlüsse, dass Tizian einen Meister nachgeahmt habe, der nicht
älter war als er selbst, abgesehen von dem angeblichen Liebes-
verhältnisse zur Tochter eines Mannes, der mehrere Jahre jünger
war. Da nun das Jahr 1477 doch wohl als das richtige Geburts-
jahr Tizian's stehen bleibt, werden wir genöthigt sein, Vasarfs
Bericht über die Lebensdauer sowohl Giorgionels als Palma's zu
bezweifeln, und zwar diese höher anzuschlagen. 1"
Tizian's Aeltern Gregorio di Conte und Lucia Vecelli hatten
ausser ihm noch drei Kinder: Francesco, Oaterina und Orsa, über
deren Alter wir jedoch nichts anzugeben vermögen?" Aus Dol-
ce's „Dialogo" erfahren wir, dass der Knabe bereits mit neun
Jahren nach Venedig gekommen sei "M, der Anonymus des Tizia-
nello erzählt, er habe Cadore im zehnten Jahre verlassen; beide
lassen ihn übereinstimmend im väterlichen Hause erzogen und
unterrichtet werden und sehr jung nach Venedig gehen, wo er
sein Glück machte? Wie stand es aber mit seinem Kunstunter-
richt; hat er denselben ebenfalls schon in Cadore erhalten? In
der Biographie Pordenones bringt Vasari eine Anekdote, die fast
genau mit der Erzählung über Tizian's Knabenzeit beim Anonymus
des Tizianello zusammentriift. Dieser berichtet, Tizian habe schon
als Kind die Neigung zu seinem Berufe kundgegebeil, „indem er
an der Wand seines Hauses eine Madonna mit Blumensaft" ge-
malt hätte, deren Farbenreiz den Vater, die Verwandten und die
Freunde in Erstaunen gesetzt. '23 Es ist immer schade, eine so
19 Die Verfasser halten nach wie vor an der Annahme fest, dass Tizian jünger
war als Giorgione und Palma Vecehio. Sie haben deshalb in ihrer Geschichte der
ital. Malerei, deutsche Ausgabe VI. S. 154, Tizian's Geburtsjahr nach 1477 setzen
zu dürfen geglaubt, allein Wahrscheinlich werden, da dieses Datum richtig scheint,
die Geburtsjahre der beiden genannten Meister einige Jahre zurück zu legen sein.
20 s. Pietro Aretino, Letterc, Paris 1609, V. S. 243, sodann handschriftliche
Urkunden bezüglich der Heirath Caterinafs di Gregorio mit Matteo Soldano, Berg-
werksinspektor zu Pieve, und Tieozzi a. a. O. S. 251.
21 vgl. Dolce, Dialoge della pittura Ed. Daelli, Mailand 1863, S. 63.
22 Dies geht aus verschiedenen Dokumenten hervor, I1. a. aus Tizians eigener
Bittschrift an den Rath der Zehn, vom 31. Mai 1513, worin er sagt: „Havend0
da puto in suso io postome ad iniparar harte." s. später.
23 Breve compendio della vita del famose Titiano. Vccellio, S. 3.
Crowe, Tiziau I. 3