CAP. II. TIZIAN'S GEBURTSHAUS. 29
vom Kastell, dessen Mauern jetzt stark verstutzt sind, da. sie die
Steine zum Neubau der Kirche von Cadore hergeben mussten,
liegt in dem xSattel zwischen dem Burghügel und den gegen Poz-
zale zu sich erhebenden Hängen die noch heute unvollendete
Kirche mit dem Gloekenthurm am Marktplatz, das Ganze im
Hintergrund begrenzt durch den Bergstoek und die Dolomitkrause
der Ma-rmarell-en.
Eine genaue Schilderung der Lage und der Eigenart Cad0re's
ist nicht überiiüssig, denn Tizian hat diesen Spielplatz seiner
Kindheit, den er in den Mannesjahren öfters Wieder besuchte,
vielleicht noch häufiger in seine Bilder verpflanzt, als die aus-
gedehnten Flächen des Tieflandes, in dem er lebte, und überdies
hat die Grossartigkeit dieser Alpenscenerie unverkennbar auf seinen
Geist gewirkt und jene Neigung zur Naturschilderei in ihm ge-
zeitigt, die ihn zum grössten Landschaftsmaler der venezianischen
Schule macht.
Tizian's Geburtshaus war ehemals Theil eines grösseren Com-
plexes von Baulichkeiten und Gärten, die dem Conte Vecelli
gehört haben. So weit sich an der Hand von Urkunden vor-
dringen lässt (in diesem Falle freilich nur bis ans Ende des
sechszehnten Jahrhunderts), finden wir die Lage desselben an der
Contrada Lovaria bezeichnet und die Nachbarschaft der Piazzetta
dell' Arsenale hervorgehoben. Dass es seit dem Tode des Conte
Vecelli (1508-1513) in den Besitz seines Sohnes Gregorio, von
diesem auf Tizian, Francesco und endlich auf des grossen Tizian
Sohn Pomponio iiberging, dafür ist Nachweis vorhanden." Der
Kaufvertrag, den Pomponio im Jahre 1580 mit Giovanni de Cesco
über Haus und Hof (cortile) abschloss, ist ebenfalls noch erhalten.
Wahrscheinlich ist, dass Gregorio im Hause gelebt hat und darin
gestorben war; auch sein Sohn Franeesco scheint es bewohnt zu
haben. Nicht ganz so klar wie die Ortshistoriker annehmen, ist,
13 Ab. Giuseppe Oadorin: Dello amore ai Veneziani di Tiziano Vecelli, Venedig
1833, S. 24-27 und 76, und Andrea Mhier: Della imitazione pittorica, Venedig
181a, s. 263.