Volltext: Tizian (Bd. 1)

CAP. 
DIE LANDSCHAFI" VON CADORE. 27 
 
Zeiten "dienstthuend in die Niederungen und wieder zurück. Im 
Ganzen war das Leben des Cadoriner Völkchens zwar an Ent- 
behrungen reich, aber in der reinen Luft der Berge ertrugen sich 
die Beschwerden leichter und der Menschenschlag war gesund. 
Ausdauer, Unabhängigkeitssinn und Verschlagenheit, die stehen- 
den Eigenschaften der Gebirgsvölker, waren bei ihnen in hohem 
Grade ausgebildet. 
In Tizian's Heimath sind alle Zuge der Alpennatur vereinigt. 
Es ist ein Land voller Schlünde und Hohlwege, Felsmassen und 
Ströme; während einiger Monate des Jahres liegt tiefer Schnee 
auf den Bergen, doch ist er weit weniger sichtbar als in den 
penninischen oder Berner Alpen, weil die schroffen Dolomite, die 
ihre sägenförmigen Gipfel phantastisch gen Himmel recken, ge- 
ringere Flächen darbieten. Westlich von der Piave erhebt sich 
der Antelao zu einer Höhe von fast 11,000 Fuss; der Pelmo ist 
nicht viel niedriger. Die Zacken und Halden des Marmarolo sind 
so zahlreich, seine Kliifte so sonderbar zerfetzt, dass man nur 
schwer die breiteste herausfindet. Oestlich von der Piave ragen 
die schroffen Spitzen des Cornon, Cridola und Duranno zur Höhe 
von 8-9000 Fuss empor. Cadore selbst liegt hoch; das Kastell 
erhebt sich der Ortschaft gegenüber steil über der Piave, die 
seinen Fuss bespült. Im schroffen Gegensatz zu der grauen und 
zuweilen gar schwarzen Färbung der nackten Felsen, die" nur im 
Früh- und Abendlicht goldige Gluth ausstrahlen, wenn sie nicht 
die Sturmkappen der Wolken tragen, sind die tieferen Matten mit 
saftigem Grün bekleidet  ein Eindruck so grossartig und selt- 
sam, dass er sich nicht schildern lässt. Denn nirgends vielleicht 
ist die unerbittliche Sterilität öden Gesteines und üppige Vegetation 
mit allen Reizen südlicher Uebergangsnatur so nah benachbart 
wie hier. In malerischer Verwirrung wandeln in mächtiger Höhe 
die tollsten Formgebilde vor dem Auge des Besßhauers durch- 
einander, theils vom Nebel umhüllt, der schwerfällig in den 
Sohlünden haftet, und oberhalb tauchen wieder neue Gipfel kühn
	        
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