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der Töne und kräftige Schattengebung kam Giovanni der Wirk-
lichkeit in ihrer ruhigen Erscheinung naher als irgend ein anderer
Meister des damaligen Venedig, wenn ihm auch die energische
Ausdruckstähigkeit, wie sie das neue Bindemittel den Malern zur
Verfügung stellte, damals noch fremd war.
Es brauchte einige Zeit, ehe das in seiner Wirkung so über-
zeugend von Antonello da Messina eingeführte Verfahren der
Flandrer, die Farben mit Firnissbestandtheilen zu mengen, festes
Handwerkseigenthum der Venezianer wurde. Als dies aber er-
reicht war, entwickelten sich die Eigenthümlichkeiten ihres male-
rischen Stils, die bisher keimartig geschlummert hatten, zu un-
geahntem Leben. Die Farben begannen Töne anzunehmen, welche
an Pracht und Leuchtkraft mit den venezianischen Tünchen, mit
dem Glasfiuss von Murano und den über Alles hoehgeschätzten
morgenländischen Webereien wetteifern konnten. Nun boten auch
die Baulichkeiten der Stadt in ihrem Reichthum dem Meister
Gentile Bellini Gelegenheit, in seinen Hintergründen eine manig-
faltige Scenerie zur Schau zu stellen, die bislang unter der Herr-
schaft des trockenen Temperaverfahrens nicht entfernt zu er-
reichen War. Carpaccio belauschte die Natur der Canäle, die
Buchten Dalmatiens und Istriens, die Hafen der Adria und ver-
werthete seine Studien mit ganz neuem Effect, indess Giovanni
Bellini sich an die milderen Reize der paduanischen Ebene mit
ihrem fernen Alpensaume hielt.
Der älteren gesellte sich bald eine jüngere Maler-Generation,
die Cima, Basaiti, Previtali, Palrna welche, von Brescia
und. Bergamo her oder aus dem friaulischen Hügellande nach
Venedig strömend die eigenthümlichen Natureindrückc der Hei-
math mitbrachten und den Umkreis des malerischen Gebietes er-
weitern" halfen.
Die Venezianer verloren, wie wir gesehen haben, die Herr-
schaft über die Meere; sie entfalteten ihre Kräfte auf dem Fest-
land, indem sie eine Nachbar-Provinz nach der anderen er-
oberten. So wurde die Stadt zu einem Mittelpunkte italieni-
scher Bildung, was sie vordem nie gewesen war. Nun konnte
auch erst die Einwanderung künstlerischer Talente wahrhaft ge-