GESCHICHTLICHE
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EINLEITUNG.
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Leute um die Fremden, und im letzten Viertel des fünfzehn-
ten Jahrhunderts hatte die venezianische Regierung bereits die
Wahl unter einer ansehnlichen Gruppe tüchtiger Künstler, wäh-
rend sie fünfzig Jahre zuvor in der grössten Verlegenheit ge-
wesen war.
Dennoch offenbarte sich auch hier wieder der im Vergleich
zur toskanischen Kunst so eigenthümlich schweriiiissige Charakter
der Venezianer. Während in Florenz und in der ganzen Macht-
sphäre florentinischer Kunst alle hervorragenden Fachmänner be-
strebt waren, das alte Malsystem durch die schnellere Praxis der
Oelfaxbe zu ersetzen, begnügten sich die Bellini und Vivarini
damit, die alte Manier beizubehalten und die Forderungen des
Zeitgesohmaoks mit dem von ihren Vorfahren überkommenen tech-
nischen Mechanismus zu befriedigen. Freilich darf nicht verkannt
werden: die Aufgabe, die den venezianischen Meistern jetzt zu
lösen oblag, war gerade schwierig genug, um sie von übereiltem
Ehrgeiz nach technischen Neuerungen abzuhalten. Ueberblickt
man den Weg, den sie von 1450 bis zur Einbürgerung der Oel-
malerei (1473)'zurückgelegt hatten, so muss man ihnen das Zeug-
niss ausstellen, dass sie mit einer Rüstigkeit und Gründlichkeit
fortgeschritten waren, die nur in Florenz zu Giottds Zeit ihres
Gleichen- hatte. Zwischen dem Malverfahren des Bellini oder
Vivarini und ihren unmittelbaren Vorgängern ist der Unterschied
ebenso gross wie zwischen dem Bauer vom alten Schrot, der seinen
Boden mit der Hacke aufkratzt und dem verständigen Landwirth,
der die Scholle systematisch mit dem Pflug aushebt und die
Furche vertiefend erweitert. Diese Pioniere der neuen Malerei
sind auf eine Tiefe der Wirkung bedacht, die von den Vorfahren
gänzlich vernachlässigt war. Nun gab das bisherige Brachield
Schätze aus, von denen in Venedig Niemand geträumt hatte und
es häufte sich eine Fülle von Erfahrungen, welche den Nach-
folgern als sicheres Erbe überliefert wurden. Hand in Hand da-
mit ging die Läuterung des Compositionsgefiihles und des Natur-
sinnes in der Wiedergabe der Geberden, die kunstvolle Verfeine-
rung des Umrisses. Die Bellini aber zeichnete vor allen ihren
Genossen die umfassende und harmonische künstlerische Bildung