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TlZlAN'S STELLUNG UM 1535.
seine
Freude
wirkt
ebenso
ansteckend
wie
sein
Schmerz.
S0
lange die Natur lebt wird auch Tizian leben. Er war der Spiegel
der Natur, nur dass der Spiegel lediglich zurüekwirft, während
Tizian sehaftßßbl Und Armenini sehliesst: „in der Nachahmung
der Natur bleibt Tizian unübertroffen. " "ä
Die wunderbare Aneignung dieser N aturwahrheit, welche sich
in Tizian's späteren Gemälden kundgibt, ward aber nicht ohne
grossen Aufwand von Zeit und Mühe und sicher nicht ohne Schwan-
kungen erreicht. Es ist deshalb von nöthen, hier einen Augen-
blick rückwärts zu schauen und sich die Stellung des Meisters,
wie die seiner Kunstgenossen in Italien zu vergegenwärtigen.
Man hat frühzeitig die Behauptung aufgestellt und fort und
fort wiederholt, Tizian's Umgebung sei unbekannt mit Correggio
gewesen, woraus sich folgern liesse, Tizian selbst habe das Wehen
dieses Geistes nicht empfunden. Wir haben jedoch Grund, das
in Zweifel zu ziehen. Fest steht: Tizian schuf in einer Periode
seiner Thätigkeit Bilder, die an Correggio erinnern. Wir weisen
nur auf den blendenden Glanz und das spielende Motiv des Christ-
kindes der "Jungfrau zu Aneona" hin. Die ganze Beschaffenheit
der Pigmente Correggids begegnet uns ferner auf der Madonna
von S. Nieeolö de' Frari im Vatikan, wo die Jungfrau vom Himmel
herabblickt mit all' der Anmuth und einem Anflug der entzücken-
den Affektion, die man bei Allegri findet. Selbst die Farbe er-
innert dureh ihren Silbersehein und die Zartheit der Glättung an
ihn. In beiden Künstlern scheinen dieselben Saiten zu vibrieren;
bei Correggio mit einer sensitiven, beinahe weiblichen Zartheit,
bei Tizian mit männlieherer Kraft. Während Tizian mehr Meister
seiner selbst bleibt und sich fast immer vollkommen in den Grenzen
des Natürlichen hält, lässt Gorreggio sich darüber hinaus heben
und verfällt in jene Ueberschwänglichkeit und Verzückung, welche
der Italiener mit dem uniibersetzbaren Worte nsmorfia" bezeichnet.
Ferner behandelt Oorreggio alle Oberflächen Fleisch, Wolken,
Kleidung gleichmässig, Tizian dagegen geht in der malerischen
pittura.
della
6' Boschini, Le rieche min., 1664, Vorwort.
65 G.B.Armenini da Faenza: De' vcri precetti
Vßllodig" 1678, S. 113, Pisa 1828 (ed.Tic0zzi).
Ravenna
1531,