Volltext: Tizian (Bd. 1)

14  GESOHICHTLICHE EINLEITUNG. CAP. I. 
von der Kapelle des heiligen Nikolaus im Dogenpalaste; sie wurde 
i. J. 1319 erneut und erhielt Darstellungen aus der Geschichte 
oder vielmehr Legende Barbarossafs und Papst Alexanders des III? 
Künstlernamen werden uns dabei freilich nicht genannt, aber dass 
unter den dort beschäftigten Malern auch jener Paolo von Venedig 
gevresen ist, der i. J. 1345 im Verein mit seinen beiden Söhnen 
das grosse Bild auf der Rückseite der Pala d'oro in S. Marco 
und ein Jahr später das Altarstück für S. Niccolc lieferte, darf 
man gewiss annehmen. w 
In die Zeit zwischen 1340 und 1367 fällt die mit ausser- 
ordentlichem Aufwand an Geld und Mühe ausgeführte erste Her- 
stellung des Grossen-Raths-Saales. Wie viele andere monumen- 
tale Unternehmungen des Mittelalters war der Fortgang des Werkes 
bald durch Seuchen, bald durch Mangel an künstlerischen Kräften 
und Geldmitteln, bald durch Unredlichkeit der betheiligten Be- 
amten' aufgehalten worden. Aber unter der Regierung Marco 
Cornarois wurde der ganze Raum mit Wandgemälden geschmückt, 
von denen uns noch ein Verzeiehniss erhalten ist. Dieses Ver- 
zeichniss stimmt den Gegenständen nach mit dem Programm über- 
ein, das nachmals bei der Wiederherstellung des vom Schicksal 
so barbariseh behandelten Saales im sechszehnten Jahrhundert 
den Künstlern an die Hand gegeben war. Wir sehen daraus, 
das der gewaltige Vorwurf des Paradieses, welchen Tintoretto 
auf der grössten überhaupt jemals von Künstlerhand bezwungenen 
Leinwandfläche behandelt hat, über zweihundert Jahre vor ihm 
an derselben Stelle von der roheren Hand des Guariento dar- 
gestellt worden ist, ja mehr noch: dass Guarientds Bild, welches 
auf die Wand selbst gemalt war, unter diesem riesigen Pflaster 
erhalten sein muss als einziges Ueberbleibsel eines Gemälde- 
Cyklus, der an Ausdehnung und Bedeutsamkeit in Italien kaum 
Seines Gleichen hatte. In Galerien und Kirchen Venedigs und 
 
9 s. Lorenzi a. a. O. S. 12. 
i" Der Altarschrein von S. Marco ist noch vorhanden, das Altarstuck von S. 
Niccolö jedoch nicht mehr nachweisbar, vgl. die Urkunde über seine Herstellung 
bei Lorenzi a. a. O. S. 33.
	        
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