306 TIZIAN UND mm. DER v. 0,5. x.
Paris,
Louvre.
waren, und es war kein Geheimniss im Lager, dass die Türken
selten einen Gefangenen austauschten, es sei denn gegen Wagen-
ladungen von Kindern und Jungfrauen, während sie die Alten
und Schwachen ohne Gnade massakrierten. Kein Wunder daher,
dass Maria von Arragonien, Davalos' junge Gemahlin, jammerte,
als ihr Gatte sie verliess, um einem so unmenschlichen Feinde
entgegenzugehen. Als er nun zurückkehrte, glaubte er Tizian
einen sehr hübschen Vorwurf für ein Gemälde geben zu können.
Der Krieger sollte dargestellt werden wie er sich von seiner
Gattin trennt, aber getröstet wird durch Sieg, Liebe und Hymen,
und noch heute bewundern wir im Louvre das schöne Bild, auf
welchem Tizian diesen Gedanken versinnlicht hatf" Maria von
Arragonien, lieblich wie ihre Schwester, die in dem rafaelischen
Bilde verherrlicht worden, sitzt schwermüthig sinnend über das
Unheil, das möglicher Weise kommen kann; ihre Brust ist nur
leicht durch Falten schneeiger Gaze verhüllt, ein gelber Schleier
fällt über ihre rechte Schulter, ein grüner Mantel ist nachlässig
über das prachtvolle Roth des Kleides geworfen; die Arme sind
nackt; im Schoosse hält sie eine krystallne Kugel als Symbol
der Vergänglichkeit des Irdischen. Ihr Ritter steht seitwärts vor
ihr in vollem Harnisch, zur Abreise bereit, feierlich ernst, aber
straff aufrecht und blickt gradaus ins Weite, während seine Hand
auf ihrem Busen ruht, als versicherte er sich im Scheiden ihres
Herzschlages. Vor dem holden Weihe aber neigt sichldie Sieges-
göttin huldigend, Cupido schleppt sein Pfeilbündel herbei und
Hymen naht aus dem Hintergründe mit Blumen und Früchten,
die er in einem Korbe emporhältßs
32 Felibien, Entrctiens sur 1a vie des peintres, Ausgabe von 1705, tom. III.
S. 50 erklärt das Bild ohne NVeiteres Ihr das Porträt des Marchese del Vasto.
33 Paris, Louvre No. 470, Leinwand, h. 1,2l M., br. 1,07 M., Halbliguren.
Den Hintergrund der linken Seite bildet eine dunkelbraune Wand, an welche sich
nach rechts bewölkter Himmel anschliesst, der Kopf des Hymen im Hintergründe
rechts ist sehr verkürzt. Die Behandlungsweise ähnelt dem sogleich zu erwähnen-
den Bildnisse des Ippolito de' Medici; beide sind oEenbar in derselben Zeit ent-
standen; vgl. Vasuri XIII. 30 und Mündler, Essai d'une analyse S. 211. Zu Feli-
bien's Zeit befand sich das Bild im Kabinct Ludwig's des XIV. Es ist von Natalis
und von Filhol gestochen und photographiert von der Photographischen Gesellschaft
in Berlin und von Braun in Dornaqh