PORTRÄT
KARL'S DES V.
M
sich zutraue, es in Marmor auszuführen. Lombardi bejahte dies
und bat den Kaiser, zu bestimmen, wohin das vollendete Relief
geliefert werden solle, worauf der Befehl erfolgte, es ihm nach
Genua zu schicken. Dieser Nebenumstand ist Beweis dafür, dass
Karl der V. den Künstlern Tizian und Lombardi im Winter 1532
auf 33 und nicht i. J. 1530 gesessen hat, denn im letzteren Jahre
berührte Karl Bologna auf seinem Wege von Genua nach den
Alpen, während er i. J. 1532 aus Deutschland kommend nach
Spanien weiterging, und zwar zu Schiff über Genua."
Tizian's Originalskizze, bis vor zwanzig Jahren in Bologna
in der Sammlung Zambeccari aufbewahrt, kam dann in englischen
Privatbesitz." Sie war ein geistvoll hingeworfenes Brustbild, das
den Kaiser in der Rüstung, mit unbedecktem Haupte, bis zu den
Schultern darstellte und ohne Zweifel als Unterlage zu dem aus-
geführten Porträt in voller Grössc gedient hat, welches verloren
ging, nachdem es eine Zierde der königlichen Paläste zu Madrid
und Brüssel gewesen war. Fürsten haben selten Musse und noch
seltener Laune zu langen Sitzungen; auch wenn Karl der V. seine
Physiognomie einem Tizian zu gegenseitiger Sicherung der Un-
sterblichkeit zur Verfügung stellte, wird es nicht von langer Dauer
gewesen sein. Der Künstler konnte daher nur darauf Bedacht
nehmen, Büste und Gesicht seines erlauchten Originales festzu-
halten, um das Gesammtbild sodann nach der Zeichnung zu er-
ganzen. Die kaiserliche Garderobe stand ihm dazu vermuthlich
ebenso zu Gebote wie es heutzutage der Fall ist, und wahrschein-
lich hat Tizian damals mehr als eine Hülle des Gefürchteten
17 s. 'Vasari IX. 14.
15 Als der Kaiser und seine Schwester Eleanor mit Maria von Ungarn im Sep-
tember 1556 die Niederlande verliessen, nahmen sie unter anderen Bildern mit „el
retratb del Emperador Carlos V. nuestro senor en lienzo, armado, eon un baston, hecho
por Titiano" (s. Revue universelle des arts, Paris 1856, In. 5-140). Dasselbe Bild
ist aufgeführt in dem Verzeichniss vom 18. August 1556 bei Gaehard: Retraite et
mort de Charles V., Brüssel 1855, vol. II. S. 90-93. Nach der Erinnerung der
Verfasser war die Skizze der Galerie Zambeecari, welche in Gaetano Giordanfs
„Cronaca" (Bologna 1842) sehlecht wiedergegeben ist, Originalarbeit. Sie wurde
1856 an Signor M. A. Gualandi verkauft, welcher sie an einen nicht öffentlich be-
kannt gewordenen Engländer abgab.