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TIZIAN UND ARETIN. CAP. IX.
Täufers, seiner blendend weissen Haut, der reichen Farbe seiner
scharlachrothen, mit Luchspelz verbrämten Tunika und bei der
Schönheit des Lammes, die so täuschend sei, dass ein Schaf es
angeblökt habefm Es lässt sich nicht annehmen, dass Tizian
seinem Verbündeten derartige Lockspeisen geliefert habe ohne auf
irgend eine Art dafür entschädigt worden zu sein. Möglicherweise
wurde ihm auf Aretin's Betreiben erst Stampafs Bildniss und bald
darauf das des buckligen Sforza und dessen jugendlicher Braut
übertragen, die durch die Politik KarPs des V. i. J. 1534 ihm zu-
gekuppelt worden. Aber von all' diesen Bildern haben wir nur
die schriftlichen Nachrichten; erhalten ist keins davon. 7"
Aretin war freilich auch Meister in der Kunst, Gefälligkeiten
durch wirksame Schmeicheleien zu bezahlen. Mit raffiniertem
Geschick weiss er die Namen seiner Freunde in seine Briefe zu
verilechten oder sie in Scenen seiner Stücke auftreten zu lassen.
In der frühesten Komödie, die i. J. 1530 geschrieben ist, hat er
für jeden seiner Gönner und Freunde ein glückliches Wort. S0
wünscht z. B. der Pedant, welcher den Marescalco zum Heirathen
überredet, ihm einen Sohn "schön wie Davalos und beredt wie
der Herzog von Urbino Bei derselben Gelegenheit verfehlt er
aber auch nicht "Tizian, den einzigen Nebenbuhler der Natur,
Sansovino, die Hälfte eines neuen Michel Angele und den "über-
göttlichen Sebastian" zu preisen."
Ernster und handgreiflicher war Tizian's Pflicht gegen den
75 s. Lettere di M. P. Aretino I. S. 24.
76 Das Bildniss Stampas erwähnt Vasari XIII. 38, das des Sforza ebenfalls
Vasari a. a. 0. und Lomazzo, Trattato della laittura, Mailand 1585, S. 6.33. Christine
von Dänemark wurde in ihrem zwölften J ahrc mit Francescp Sforza verlobt (s. Lanz,
Correspondenz Karls des V. II. S. 87, '89 und 206). Tizian porträtierte sie nach
ihrer im Januar 1534 stattgefundenen Hochzeit (s. den Brief des Guido Mazenta an
Grossherzog Ferdinand, Mailand, 27. Januar 1604 bei Gaye, Carteggio III. S. 531).
Alle Wahrscheinlichkeit spricht dafür, dass die Bildnisse Francesco Sforzzfs und
seiner jungen Gattin nach Madrid übergegangen sind. Sie wurden dort von Rubens
copiert und gingen ohne Zweifel im Brande des Palastes Pardo zu Grunde (vergl.
Sainsburys Papiere über Rubens S. 238).
Der "Marecaleo" Aretin's war i. J. 1530 verfasst (vgl. den Brief Aretin's
an Vasone vom 17. September dieses Jahres in den Lettere di P. Aretino), die oben
angezogene Stelle findet sich im V. Akt, 3. Scene des Schauspiels (s. Quattro Com-
medie del Div. P. Aretino, Venedig 1588, S. 40).