Volltext: Tizian (Bd. 1)

CAP. IX. HIERONYMUS- BILDER. 289 
in- Hampton Court sind dagegen des Namens Tizian völlig un- 
würdig." 
Ebensowenig wie die Magdalena lässt sich das Hieronymus- 
Bild der Gonzagas heute mit Sicherheit nachweisen. Der wilde 
Landsehaftscharakter des Friaul mit seinen Eichen und Pinien, 
deren knorrige Wurzeln. wie ein Netz über die Felsen gebreitet 
sind, erschien dem Meister so recht der angemessene Schauplatz 
für das Einsiedlerleben dieses Asceten, der sich den Löwen zum 
Genossen ersehen. Gemälde und Stiche zeigen den heiligen Cyni- 
ker in der verschiedenartigsten Auffassung: nachdenklich, büssend, 
verzweifelnd oder betend. Die Landschaft aber ist jedesmal durch 
Ernst und wirkungsvolle Beleuchtung bedeutend. Im Louvre ist 
Hieronymus bejahrt und bärtig dargestellt; er kniet, den Blick 
auf ein an den Baumstamm geheftetes Krucifix gerichtet, in der 
Hand den Stein haltend, womit er sich kasteit, vor ihm liegt der 
Kardinalshut, ein rothes Tuch deckt die Lenden; magisches Licht 
zittert durch die Bäume. Die grossartige Breite der Behandlung 
und der Reichthum der Töne deuten auf die Periode, mit der wir 
uns jetzt beschäftigen. Mehr oder weniger treue Wiederholungen, 
die in Garscube, Ohatsworth und anderwarts vorhanden waren, 
zeugen davon, dass gerade damals bei Tizian's Schülern und 
Copisten starke Nachfrage nach dem augenblicklich modischen 
Gegenstande war." 
Paris, 
Louvre; 
7" Die beste der beiden Oopien in der Galerie Doria ist die unter No. 56 im 
grossen Zimmer des Braccio secondo (Leinwand); das weisse Gewand, welches die 
sehwellenden Formen zum Theil verhüllt, ist offenbar moderne Zuthat, das Fleisch 
an verschiedenen Stellen aufgefrischt. Auch die zweite Copie (N0. 37 des zweiten 
Zimmers) hat diese Zuthat, ist aber in allem Betracht geringer, obgleich beide unter 
dem Namen Tizian's gehen. Eine unbedeutende Copie der Magdalena im Pitti be- 
findet sich in dem Presence-Chamber des Prinzen von Wales in Hampton Court; 
hier ist rundum Leinwand angesetzt; noch eine andere Copie in Hampton Court, 
aber noch schwächer. inQueen Mary's Closet. 
7' Der "Hieronymus" hing in Mantua in den Zimmern der Markgriifln Isabella 
(vgl. den Brief Oalandrafs an Fedcrigo bei Pungileoni, Rafael S. 182). Das Bild 
im Louvre N0. 466 (Leinwand, h. 0,80 M., br. 1,02 M.) stammt wahrscheinlich aus 
Mantua und war zur Zeit Ludwigs des XIV. gekauft (Stich bei Landen). Das 
Exemplar in Garscube, auf dem Landsitz Sir A. CampbelYs, ist eine nur wenig 
abweichende Wiederholung des Pariser Bildes; obgleich es als Originalen-heiß Tizialfg 
benannt ist, trägt es doch kaum überzeugende Spuren seiner Hand, da es dermaassen 
ubermalt ist, dass man es fast als moderne Malerei bezeichnen darf.  Auf dem 
Crowe, Tizian I. 19
	        
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