CAD. IX. DER "TOD DES PETRUS MARTYR". 273
Wenn der Kunstfreund auf eingehendere Beschreibung des
Werkes verzichten kann der Meister kann es nicht, denn wir
haben es mit einer Leistung zu thun, deren Feinheiten unter dem
überwältigenden Eindruck der allgemeinen Form- und Farbengebung
leicht verloren gingen. Auf die Grenze der vorderen Pläne im Bilde
gestellt heischen die Figuren sowohl um ihres Maassverhältnisses
wie um ihrer Gruppierung willen genaue Betrachtung. Der Heilige
liegt am Ausgange des Waldes auf dem letzten grasbewachsenen
Hügel niedergeworfen, über den er auf der Flucht hingeglitten
scheint, das Gesicht aufwärts gerichtet, den Oberkörper zum Theil
auf den rechten Ellenbogen und Vorderarm gestützt, die Linke
zum Himmel empor-gestreckt, ereilt von dem gedungenen Mörder,
einer Kraftgestalt mit bronzefarbener Haut und verwildertem Haar,
der über sein Opfer schreitend den schwarzen Mantel des Heiligen
packt und indem er auf dessen Gewand tritt zum letzten tödt-
lichen Stosse ausholt. Nach links hin flieht der Gefährte des
Heiligen, ein Bild der Todesangst: Kopf und Scapulier sind
mit Blut befleckt, Arme und Beine schlottern nach vorwärts,
das schreckensbleiche Gesicht ist rückwärts gewandt, die Augen
krampfhaft auf das Messer des Mörders gerichtet die ganze
Behandlung dieses vom momentansten Leben bewegten Körpers ein
Zeugniss vom Einiiusse Michelangelds. Rechts in der Ferne der
Lichtung hält der Anstifter des Mordes zu Pferde, begleitet von
einem Untergebenen, der aber eilig den Schauplatz des Verbrechens
verlässt. Dieser Gruppe athletisch gebauter Gestalten, echter Berg-
naturen, wie sie ihm aus der Heimath vertraut waren, hatte Tizian
eine ernst melancholische Landschaft mit mächtigen Bäumen zur
Bühne gegeben. „Der letzte Ruf des Märtyrers, die Wehklage
seines entsetzten Begleiters haben Raum, in die hohen luftigen
Baumstämme emporzudringenfßs Man hat sich die Scene am
Waldsaume in den Hochalpen zu denken, in weiter Ferne durch
einen Bergzug „in zornigem Licht" begrenzt, der mit dem Vorder-
grunde und Himmel durch einen zauberhaften Lichteffekt ver-
bunden ist. Ein flüchtiger Sonnenstrahl sehiesst senkrecht durch"
33 Ausdruck Burckhardifs im Cicerone.
Crowe, Tizian I. 13