Q
TIZIAN
UND
ARETIN.
Tizian sagte einst zu den1 kaiserlichen Gesandten Vargas,
welcher ihn einen Pinsel von der Dicke eines Birkenbesens ge-
brauchen sah: er wolle in anderer Weise malen, als Rafael und
Miehel Angele, denn er könne sich nicht damit zufrieden geben,
blosser Nachahmer zu sein? Im Petrus Martyr hat er bewiesen,
dass er die Kraft besass, von Miehel Angelds Stil so viel anzu-
nehmen, als für ihn geeignet war, um mit dem seinigen ver-
schmolzen zu werden darin liegt vielleicht eine der grössten
seiner künstlerischen Thaten.
Noch heute befindet sich das ergreifende Bild vom Tode
Petrus des Mönehes in der Rosenkranz-Kapelle zu S. Giovanni e
Paolo, aber was Wir jetzt dort sehen ist nicht mehr das Werk
Tizian's. Nach manigfaehen Schicksalen und nachdem es eine
Zeit lang als Beutestüek in Paris geprangt und dort von der
Holztafel auf Leinwand übertragen worden, ist es am 16. August
1867 durch eine Feuersbrunst zerstört worden. An seinem Platze
hängt die Copie von Oardi da Cigoli. Zwar lebt das Original in
zahllosen Nachbildungen und Stichen und mehr noch in der Er-
innerung aller Derer, die Venedigfrüher besucht haben, der Ver-
lust für die Kunst aber bleibt darum doch unersetzlich, denn keine
Copie und kein Stich vermögen eine Vorstellung von dem geradezu
wunderbaren Meisterwerke zu geben. Mehr als in irgend einem
anderen Bilde hatte Tizian hier die menschliche Gestalt in ihrer
höchsten Vollkommenheit dargestellt aber im Gegensatz zu
Michel Angelds gigantisehem Ideal innerhalb der zwanglos von der
Natur erreichbaren Grenzen. Er entnahm von dessen Vorbildern
die gewaltige Ausprägung der Körpertbrxnen und die leidenschaft-
lich bewegte Handlung, er führt uns Abkömmlinge eines herkulil
sehen Geschlechtes vor Augen, aber er vermeidet dabei jede lllaass-
losigkeit, Dank seiner steten Fühlung mit der Natur. Jede irgend
empfindbare Gewaltsamkeit wusste er durch das fein abgewogene
Spiel des Lichtes und durch die Farbenskalen derart zu dämpfen,
dass das Ganze durchaus wahr, durchaus wie Erlebniss erscheint.
L
3': Vicus, de studiorum "ratione S.
kungen zum Anonymus Tizianellds.
100
in
Cicognak
zlndschpiftlichen
Arm