Volltext: Tizian (Bd. 1)

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VIII. 
ALTARBILD 
DES 
HAUSES PESARO. 255 
grossartig erfasst, dass sie an plastische Werke gemahnt; bei 
näherer Betrachtung aber schliesst diese Einfachheit doch wieder 
eine Fülle der feinsten Abstufungen in sich. Als Wunderwerke 
der malerischen Technik müssen die Seidenstoße und Brokate 
bezeichnet werden, welche wieder überraschend mit dem einfachen 
Tuch der Gewänder Maria's und der Heiligen contrastieren. Durch 
sämmtliche Bildnisse geht eine unverkennbare Familienähnlichkcit; 
nur Benedetto, der schon i. J. 1503 gestorben war, ist nach einem 
älteren Bilde, die anderen augenscheinlich nach dem Leben ge- 
malt. Unübertreiflich ist bei Allen die würdige, maassvolle und 
angemessene Bewegung. Jeder drückt den ihm eigenen Grad von 
Empfindung aus, dessen er fähig ist, bis herab zu dem reizenden 
Knaben, dem noch das Verständniss für die ceremoniöse Handlung 
fehlt und der deshalb den Beschauer anblickt. Als eigentlich 
künstlerische Substanz tritt nun zu all' diesen verschiedenen har- 
monierenden Elementen noch das der Farbe hinzu. S0 fein ge- 
arbeitet und so wunderbar durchwoben mit Sonne und Dunkel- 
heiten, so manigialtig zum Ausdruck der verschiedensten Texturen 
variiert, macht sie das Bild zu einem geheimnissvollen Ganzen, 
das sich dem Auge als ein Ideal von Grösse und vornehmer 
Schönheit darstellt. Diese sublime Einheit aller Wirkungsmittel 
mit dem Gedanken des darzustellenden Vorganges macht das 
Werk zu einem der schlechthin unübertrefflichen Leistungen der 
Kunst." 
lDie grosse Zahl der vor diesem Bilde entstandenen Studien 
lässt auf den Eindruck schliessen, den das köstliche Werk auf 
die zeitgenössischen Maler machte. In den Berichten der Chro- 
nisten ist freilich die „Madonna des Hauses Pesaro" durch das 
" Das Bild hängt noch heute an seinem ursprünglichen Bestimmungsort in 
S. Maria de' Frari; die letzte Zahlung dafür erfolgte am 27. Mai 1526 (s. Urkunde im 
Anhang No.  die Figuren sind über lebensgross, der obere Theil des Bildes ab- 
'gerundet. Vor einigen Jahren wurde eine Grundierung auf Oel und terra rossa auf 
der Rückseite desselben angebracht, dadurch ist die Farbe etwas verdunkelt werden; 
zuvor war das Gemälde bereits durch G. Bertaui ausgebessert (s. Moschini, Guida di 
Ven. II. S. 194). Eine Radierung (von der Gegenseite) in Lefebres Werk. Die 
Rothstift-Zeichnung der Hauptgruppe, welche sich in der Albertina in Wien befindet, 
ist von Braun photographiert.
	        
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