VIII.
VERKÜ Nolqgwe
ROCCO.
jLENEDlG.
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F oitschritte der Arbeiten Tizian's im Dogenpalaste und wir dürfen
wohl annehmen, dass er ihn freigebig dafür belohnte; aber nicht
zuiiieden, ihm blos durch klingende Münze seine Anerkennung
zu bezeugen, wandte er auch seinen Einfluss an, um der Familie
des Meisters zu nutzen. Im April 1525 bestätigte er die Ernen-
nung von Tizian's Schwager Matteo Soldano zum „Ka.nzler" in
Feltre und besetzte den frei gewordenen Posten eines „Minen-
Inspektors" mit Tizian's Vater Gregorio."
In der Kirche S. Sebastiano in Venedig findet sich ein Grab-
stein, auf welchem ein namhafter Rechtsgelehrter Amelio Cortona
die Tugenden eines seiner Vorfahren, weiland Generals im vene-
zianischen Heere, preist. Durch Testament vom 31.. October 1555
vermachte dieser Amelio seine „ Verkündigung der heiligsten Jung-
frau" von Tizian der Bruderschaft von S. Rocco in Venedig, in Venedig,
deren Besitz sich das Bild noch heute befindet? Es übertrifft
das denselben Gegenstand darstellende Bild in Treviso in der
Breite der Behandlung, in der Einfachheit der Landschaft, in
Schönheit des Colorits und Feinheit der Modellierung; ebenso
zeigt sich das gereifte Talent des Künstlers in den einfach grossen
Formen der in betender Stellung an ihrem Pulte knieenden Jung-
frau. Freilich würde das Bild noch bedeutend höher stehen,_
wenn der auf einer Wolke daherschivebende Engel weniger tän-
zelnd auftrate; die Composition erhält dadurch wieder eine welt-
liche Beimischung, die bei Tizian nun einmal von der Behandlung
dieses Gegenstandes unzertrennlich scheint. Das Rebhuhn auf
dem Boden und der Korb zu Mariaßs Füssen erinnern an die naive
Weise
der
älteren
venezianischen
Kunst
und
machen
den
weiten
Schritt von der ruhigen Beschaulichkeit der älteren Malerei zum
blendenden Glanze der Tiziadsehen Zeit nur umso fühlbarerß"
37 s. die Urkunde im Anhang N0. VI.
38 vgl. Moschini, Guida di Venezia, Venedig 1815, II. S. 217, und den Auszug
aus dem Testamente des Amelio Cortona bei Cieogna, Iser. Von. IV. S. 141.
39 Venedig, Scuola di S. Rocco. Das Bild hängt hoch an der zum Ober-
geschoss führenden Treppe (Leinwand, Figuren lcbensgross): rechts Maria am Pulte
knieend vor einer Säule, welche zu der mit steinerner Balustrade abgeschlossenen
Terrasse gehört, von links kommt der Engel in rothem Gewande mit kurzen weissen
Aermeln; er deutet mit der Rechten auf die Taube, welche zur Jungfrau herab-