240 TIZIAN UND DIE GONZAGA.
Rom,
Vatikan.
Sebastian, von Pfeilen durchbohrt, aber mit ruhig-heitrem, sinnen-
dem Ausdruck; der Körper in vollem Lichte, das gesenkte Antlitz
im Halbsehatten; zur Linken im Bilde Nikolaus in vollem Bischofs-
ornat mit Buch und Kreuz, den Blick aufwärts gerichtet; zwischen
beiden Petrus mit den Schlüsseln und etwas mehr zurück die
heiligen Mönche Franeiskus und Antonius von Padua, während
nach links hin die heilige Katharina von Alexandrien die Reihe
schliesst. 2"
Oben ist alles helles Lieht, unten das düstere Gemäuer. Hier
drängt sich dem Besohauer zunächst der nackte Körper des Seba-
stian ins Auge, der sich leuchtend von dieser vortheilhaiten Folie
loshebt, dann folgen die Kutten der Franciskaner, der gelbe Mantel
des Petrus, der Brokat des Nikolaus und das rothe Gewand
Katharinas in auf- und absteigendem Farbenakkord. Betrachtet
man die Figuren naher, so hat Ridolü Recht: der nach oben Age-
riohtete und so verkürzt gesehene Kopf des heiligen Nikolaus
erinnert an den Laokoon. Gerade damals hatte Sansovino einen
Abguss der Statue für den Kardinal Domenieo Grimani gemacht,
von dem ein zweites Exemplar in Tizian's Atelier stand. Auch
Pordenone sagt nicht zu viel mit seinem Lobe des Sebastian.
Was wir da sehen, kommt uns in der That nicht wie blosser
Schein vor, sondern wie etwas wirklich Athmendes; es ist zwar
20 Rom, Galerie des Vatikans N0. XIX. (dorthin durch Pius den VII. aus dem
Quirinal übertragen) h. 3.98 M, br.2,63 M, bezeichnet auf einer über dem Kopfe
des Antonius an der Mauer des Hintergrundcs befestigten Tafel: Qfrrmnvs FACIEBAT".
Die angegebene Verstllmmlung des oberen Thcilcs soll angeblich vorgenommen werden
sein, um das Bild als Seitenstück zu Rafaefs Transfiguration anbringen zu können.
Kürzlich angestellte Nachforschungen nach dem oberen Rundstueke sind ohne Er-
folg geblieben. Jetzt werden die elf Theile, aus welchen das Ganze besteht, durch
neues Getiifel zusammengehalten, doch sind einige störende waagrechte Sprünge noch
sichtbar. An etlichen Stellen ist die Farbe" durchs Alter und durch Einfluss des
Rauches verändert, der ganze Hintergrund (die Mauerfläehe) befindet sich in üblem
Zustande; Schatten und Halbtüne sind durchweg verändert, die Lasuren an vielen
Stellen zerstört, tiefe Risse mit frischer Farbe zugefullt. Ganz neu sind der Fuss
desFranciskus und ein Stück an dem rechten Beine des Sebastian unterhalb des
Knies. Als Josua Reynolds das Bild i. J. 1752 in S. Niecolo in Venedig sah, war
es so dunkel, dass nach seinem Bericht (in Lcslie's und Taylors angez. Werke I.
S- 75) nur der Körper des Sebastian kenntlich war, der ausgesehen habe, als hatte
er den Kopf verloren. Es ist nach dem Original photographiert von Gebrüder
Alinari in Florenz.