Volltext: Tizian (Bd. 1)

VII 
"VENUS 
ANADYOMENE 
229 
biegt sie den Kopf nach dem Beschauer um und schaut ihn mit 
einem durchdringenden Blicke an, welcher unwiderstehlich aus 
dem nur theilweise durch lange Wimpern beschatteten runden 
Augapfel hervorschiesst. Die Bewegung ist vollendet graziös, aber 
auch verführerisch, das Antlitz zeigt reines Oval, doch ist die 
Physiognomie mehr die eines bewussten als unschuldigen Wesens. 
Fülle und Durchbildung des Fleisches sind weiter getrieben als auf 
anderen Darstellungen ähnlicher Gegenstände bei Tizian, dabei 
macht sich zugleich grössere Feinheit der Modulation, grössere 
Zartheit im Wechsel der Abtönungen bei breiterem Vortrag und 
satterem Farbenkörper bemerkbar. Trotzdem hat Tizian jedoch 
wohl niemals vollkommenere Körperlichkeit mit geringerem Schat- 
ten hervorgebracht. Die ganze Gestalt contrastiert in Silbergrau 
mit den lichteren Schattierungen des Haares, des Wassers und 
des Himmelsfß Ihre Züge gehören einem neuen Modell an, das 
an die Stelle der Violante und Flora tritt und abwechselnd zur 
Darstellung einer Göttin der Liebe und einer büssenden Magda- 
lene dient. 
Plinius erzählt uns: als Augustus die "Venus Anadyomene" 
des Apelles nach dem Tempel des Caesar gebracht habe, sei das 
Bild beschädigt gewesen und den Malern Roms zur Wiederher- 
stellung übergeben worden, aber keiner unter ihnen sei im Stande 
gewesen, es auszubessern. Auch bei Tizian's meerentstiegener 
Venus hat man zu verschiedenen Zeiten Versuche gemacht, ihr 
den ursprünglichen Lüstre zurückzugeben. Der Erfolg war eben- 
so übel wie vor Jahrhunderten bei ihrer erhabenen Schwester; 
man vermochte nur zu verschlimmern, wo man nachzuhelfen 
wagte. Mit dem reinigenden Schwamm hat man die Zartheiten 
der Modellierung unbarmherzig hinweggewischt. 
 
43 Das Bild, jetzt N0. 19 der Galerie Ellesmere (Leinwand, Figur unter Lebens- 
grösse), stammt aus der Sammlung der Königin Christine, wo wir es zuerst erwähnt 
finden (s. Campari, Racc. di Cat. S. 341). Es ging in die Sammlung Orlöans über 
und wurde i. J. 1800 für 800 f an den Herzog von Bridgewater verkauft (s. Waagen, 
Treasures II. S. 31 und 497). 
	        
Waiting...

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.