CAP.
VII.
"VENUS" IN DARMSTADT. 227
spotten jedoch in dieser Beziehung unseren Herkunftsfragen. Wir
wissen ebensowenig von ihren ursprünglichen Käufern wie von
dem ersten Besitzer der "Venus mit der Muschel der „ Venus von
Madrid" oder der „Venus von Pardo". Unsere Nachweise reichen
nur dazu aus, festzustellen, dass die .,Venus von Darmstadt" und
die "Venus des Lord Ellesmere" in der jetzt in Rede stehenden
Zeit gemalt sein müssen. An der letzteren vermisst man aller-
dings die den tizianischen Gemälden eigenthümlichen Schönheiten
in hohem Grade, da die Harmonie der Farben und die Reize der
stets bewundernswürdigen technischen Ausführung unmässigen Auf-
frischungen zum Opfer gefallen sind. Es ist indess genug übrig
geblieben, um erkennen zu lassen, dass Tizian zu diesem Bilde
ein Modell benutzt hat, welches ihm, seinen Schülern und seinen
Copisten die Möglichkeit unzähliger Nachahmungen gewährte. Er
stellt uns eine nackte junge Frau schlafend auf dem Kissen ge-
bettet dar; das rothe Tuch, worauf sie liegt, hängt von einer in
der Nähe stehenden Eiche herab und bedeckt zum Theil den
Boden. Gleich der "Venus von Pardo" hat sie einen Arm unter Darmstadt,
den Kopf gelegt, die Rosen, mit denen das Lager bestreut ist, Museum
welken in der lauen Luft, und den Hintergrund bildet eine Land-
schaft, deren Gegenstück im "Noli-me-tangere" der Londoner
National-Galerie zu finden ist; in der Ferne sitzt ein Liebespaar."
In ihrem gegenwärtigen Zustande lässt sich von der Gestalt
nichts weiter sagen, als dass sie die Wiedergabe einer Natur ist,
deren vollendeter Wuchs von jugendlich-anmuthigen Linien um-
schlossen war. Von den zahlreichen Copien, welche die Popularität
des Bildes bezeugen, haben die meisten ihren Weg nach England
genommen. Eine befindet sich im Palast des Herzogs von Wellington
36 Die Venus in Darmstadt (grossherzogliches Museum N0. 520, Leinwand,
hoch 1,30, breit 1,66) hat so sehr gelitten, dass der Katalog der Sammlung dem
Bilde den Namen Tizian's nicht beizulegen wagt, indess finden wir, abgesehen von
den höchst anmuthigen Linien der Landschaft, Stellen daran, welche unserer Mei-
nung nach die Hand des Meisters erkennen lassen, z. B. ein Theil der Büste und
besonders die rechte Brust, sowie der Theil des Hintergrundes, welcher einen Hügel
mit Bauerhäusern und den von dort herabführenden Weg umfasst. Alles Uebrige
ist freilich ganz verpfuscht, der Kopf besonders grau, die Hand missfdrmig, das
rothe Kissen, Landschaft und Himmel entstellt.
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