CAP. VII. ..MAlTRESSE DU TITIEN". PARIS.
ein Tonspiel, welches an Lionardo da Vinci erinnert und
wahrhaft entzückend gemacht ist durch eine süsse herzbevvegende
Harmonie, wie sie nur jemals von einem Künstler der venezia-
nischen Schule angeschlagen werden ist. 33 Wie diese Tiefe des
Schattens, dieser Glanz der Reiiexe im Dunkeln, diese Fülle des
Fleischtons hervorgebracht worden, ist ein technisches Geheimniss,
das schon zu Tizian's Zeit der Beobachtung spottete und heute
erst recht unergründlich bleibt. Man kann kaum erklären, wie
der Meister den kräftigen Körper seiner Farben durcharbeitete
oder mit zahllosen Nüanzenschiehten modelte und endlich einer
allgemeinen Lasur unterzog; wir sehen eben nur, dass ihm jetzt
jene Verbindung von Farbe und Lichtheit gelungen war, die alle
Werke dieser Periode auszeichnet, ebenso „Baccl1us und Ariadne"
oder die "Madonna mit dem Kaninchen" wie die später entstan-
denen grösseren Hauptbilder, die "Grablegung" im Louvre und
die „Madonna mit Heiligen" im Vatikan.
Wie wir gesehen haben, war es nicht die ältere Ueberlieferung,
die unser Bild auf Alfonso von Ferrara bezog; als es in die
Galerie Karl's des I. kam, hiess es vielmehr "Tizian und seine
Geliebte", und seltsamer Weise ist dieser Name dem Gemälde
bis heute geblieben, obgleich dazu nicht die geringste Veran-
lassung vorliegt, denn von einer Aehnlichkeit zwischen dem Manne
des Hintergrundes und dem Maler kann keine Rede sein, aber
33 Paris, Louvre N0. 471, Leinwand, h. 0,96, br. 0,76. Die früheste Bemer-
kung über dasselbe findet sich in Bathoe's Katalog der Sammlung Karl's des I.:
„N. 16. Titian and his mistress by himself, appraised at and sold for f 100."
Jabach kaufte es und uberliess es später Ludwig dem XIV. Wenn man eine
schwache Stelle an dem Bilde sucht, so ist es die Behandlung des rechten Armes.
welcher nebst der Drapierung nicht recht zur Schulter passt. Vortrefflieh ist der
Gegensatz des rothen Damastwamses des Mannes mit dem dunkeln Hintergrund.
Eine Wiederholung, welche Tieozzi (Veeelli etc. S. 59) im IIause des Grafen Leopold
Cieognara kannte, wurde 1816 an „Milord Stuart" verkauft. Da. Zweifel über die
Echtheit entstanden, wurde das Exemplar an die römische Akademie geschickt,
welche erklärte, es könne wohl von Giergione, aber nicht von Tizian sein, wo-
rauf „Milord Stuart" sein Kaufgeld zuruekverlangte (vgl. die handsehrl Bemerkungen
Cicognafs zum Anouynius des Tizianello). Möglicher Weise ist dies die Replik,
welche im Katalog der Sammlung der Königin Christine unter Pordenone'S
Namen verzeichnet war (s. Campori, Race. di Cat. S. 359). Das Exemplar des
Louvre ist in Filhol und Landon's Galeriewerk gestochen, photographiert von der
Berliner photographischen Gesellschaft und von Braun in Dornach.