Volltext: Tizian (Bd. 1)

QLä. 
WERKE DER 
JAHRE 
ERSTEN 
NACH 
1520. 
CAP. 
VII. 
Manche Theile des Werkes werden von den Zeitgenossen 
ohne besonderes Staunen betrachtet worden sein. Gewiss bewun- 
derte man an Entwurf und Farbe der "Auferstehung"? den Realis- 
mus, den concentrierten Reichthum des Tones und die Kraft: in 
der Zeichnung des Christus, aber die Scene bot in ihren Einzel- 
heiten nicht gerade Neues dar. Wohl aber wird man Anstoss 
daran genommen haben, dass Tizian diese erhabenste Figur, den 
auterstehenden Christus, mit der Muskelpracht eines Athleten aus- 
gestattet und seiner Geberde eine entschieden theatralische Haltung 
gegeben hat. Jeder andere Fehler wurde indess in ihren Augen 
zweifellos aufgehoben durch die Schönheit des Gabriel, durch 
das grossartige Porträt Averoldois und die an griechische Muster 
erinnernde plastische Modellierung des Sebastian.  Auf die 
Behandlungsweise dieses Verkündigungsengels, an welcher das 
Charakteristische darin besteht, dass Tizian eine edle Farben- 
harmonie bei vorwiegendem Schatten mittels streitig einfallenden 
Lichtes hervorgebracht hat, dürfen ohne Frage bestimmte oft 
wiederkehrende Effekte bei Moretto und Savoldo zurückgeführt 
werden. Es zeigt sich das Profil eines heiter-schönen Knaben 
von blühendem Wuchs und üppigem Lockenschwall, die Gestalt 
voll Leben und Bewegung, bewundernswürdig gezeichnet und mit 
vollendeter Kunst gemalt, ein Urbild der Anmuth in Form, in 
Ausdruck und Tracht, besonders aber vermöge der Elasticität 
seiner Bewegung, wie er mit beiden Händen das Schriftband ent- 
rollt, auf welchem der englische Gruss geschrieben steht. Das 
Altarstückes gibt Sala in dem WVerke ,;Pitture di Brescia".  Die Wiederholung 
des Sebastian in der Sammlung Lord Elcho's (Leinwand) ist etwas kleiner als 
das Original. WVaagon, Treusures II. S. 83 hält es irrthümlich für das Bild der 
Sammlung König Karls Lord Elche besitzt noch ein kleineres Exemplar desselben 
Gemäldes (28 Zoll hoch), welches für Tiziaifs Originalskizze gilt. Hier jedoch ist 
der linke Arm des Heiligen gerade, Rochus und der Engel fehlen. und den Hinter- 
grund bildet eine Gebirgslandschaft, sodass wir das Bildchen eher für freie Copie 
einfs späteren Malers halten.  Eine Copie des Originals, in Lebensgrüsse auf 
Leinwand, beiindet sich in der Galerie Tosi in Brescia unter Morettos Namen, 
besfhädigt und wohl nur einem Nachfolger dieses Meisters angehörig. Davon wieder 
besitzt die Galerie Liechtenstein in Wien eine Wiederholung (N0. 589, Lein- 
fvand, {1-151, bT-ÜJÜI. Dies ist vermuthlich das Bild, welches vor einigen Jahren 
im Besitz des Abute Fenaroli in Brescia war (s. Guida di Brescia 1866, S. 105).
	        
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