CAP. VI. AUFTRÄGE IM JAHRE 1520.
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schrak im letzten Moment vor dem Wagniss zurück, sich mit dem
Legaten zu überwerfen, und Tizian empfand Schaam darüber,
dass er der gemeinen Versuchung erlegen sei, ohne dadurch einen
entsprechenden Gewinn erreicht zu haben. Vor Weihnachten er-
hielt Tebaldi einen Brief vom Herzog, mit dem Befehl, Tizian
dessen Inhalt mitzutheilen:
„Lasst ihn wissen " schreibt er "dass wir uns die Sache
noch ein Mal überlegt haben und zu dem Entschlusse gekommen
sind, Seiner Ehrwürden dem Legaten_ die Beleidigung nicht zu-
zufügen. Schärfet ihm. dagegen ein, er solle daran denken, uns
gut mit dem Werke zu bedienen, das er für uns unter Händen
hat, da wir ihm für den Augenblick nicht noch mehr autbürden
wollen; auch haben wir ihn an den Kopf zu mahnen, den er vor
seinem Weggang von Ferrara auf unser Geheiss begonnen hat. "i"
Der Absendung dieses Briefes ging ein Stück Leinwand und
ein Geschenk von 25 Scudi voraus. Einer in der Folge von
Tebaldi gegebenen Antwort entnehmen wir, dass „ der Kopf" eine
Halbtigur auf einer Tafel gewesen sei, welche Tizian versprochen
hatte durch Hinzufügung „des Ellenbogens und eines Theiles der
linken Hand" zu vervollständigen? So ergiebt sich also, dass
Tizian, während er das Altarbild für den Legaten vorbereitete,
gleichzeitig unter der Verpflichtung stand, mehrere Bilder für den
Herzog zu vollenden. Dies war jedoch durchaus noch nicht die
ganze Last, welche auf seinen Schultern ruhte. Die venezianische
Regierung wartete immer noch auf das Gemälde „die Schlacht"
und Jacomo da Pesaro, des Meisters alter Freund und Gönner,
drängte ihn um ein Altarbild, auf das i. J. 1509 verschiedene
Vorschüsse gemacht worden warenfs Man sollte unter diesen
Umständen erwarten, Tizian hätte die erste sich ihm darbietende
Gelegenheit ergriffen, um sich von seiner Verbindlichkeit zu be-
freien oder doch wenigstens einige der älteren Forderungen zu
befriedigen, ehe er neue Aufträge übernahm. Aber mit nichten.
Weder Alfonsds Vorstellungen noch die Mahnungen der Regierung,
Alfonso an Tebaldi, Ferrara, 23. December 1520 T
Ebenda. '
s. den Anhang zu diesem Bande und vgl. Selvatieo,
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5G
bei Gampori
1520
Guida di Venezia,
181.