ALFONSO VON
192 TIZIAN UND
ESTE.
in seiner Nähe zugewendet, aber er hält die Baochantin am Fuss-
gelenk, als wolle er sie zwingen, am Tanze theilzunehmen. Es
ist eine lärmende Bande, die sich in der mittleren Ferne nach
dem Tone der Verborgenen Musik im Wirbel dreht und im
Wechseln der Hände den Kettenreigen schlingt. Der Tollste aus
der Gesellschaft stürzt in wildem Laufe vorwärts; ein Anderer
hält den Krystallbecher in die Höhe; eine Bacehantin langt nach
seiner Hand, wobei ihre Weisse Tunika in die Luft flattert und
ihre AGIieder sich entblössen. Sie erwidert die Neckerei eines
Mannes in rothseidenem Wams, der im Schmuck eines Blätterkran-
zes dem Besehauer den Rücken zuwendet. Ein Baum, in dessen
Zweigen bewegungslos eine Pfauhenne sitzt, ragt hinter dem Ge-
tummel der Tänzer auf und trennt den Hintergrund in zwei Theile,
von denen einer den Hügel mit Silen, der andere ferne Dolomit-
felsen zeigt, die einen von einer Galeere belebten See begrenzen.
In der Mitte des Hintergrundes ruht ein Mann mit seinem Hunde
und eine breite Masse Laubwerk spreitet sich fticherartig über
die linke Seite des Bildes, sodass man durch die Stämme hin-
durch einzelne Streifen des Himmels schimmern sieht";
Alfonso von Este war erst seit vier Monaten Wittwer, als
Tizian dies heitere Bild nach Ferrara brachte. Lucrezia Borgia,
die es nach dem ernsten Umschwung ihrer Anschauungen vielleicht
verurtheilt hätte, lebte nicht mehr; an ihrer Statt herrschte ein
bescheideneres, aber vielleicht schöneres Weib, welches Alf0ns0's
4G Madrid, Museo del Prado N0. 450, Leinwand, h. 1,75, br. 1,93. Das Bild
hat dieselbe Geschichte wie das "Venusfest" und "Baeehus und Ariadne" in der
Londoner National-Galerie, werubcr wir später sprechen werden. Am Saum der
weissen TunikauViolantdst die Marke des Escurial "Trcmuvs F. N. 103" (s. Ma-
drazds Katalog von 1872, welcher die Ziffer 101 liest). Einige Figuren haben
durch Putzen und Nachbesserung gelitten, z. B. Ariadne an der Brust und theil-
weis an Knie und Knöchel sowie an dem weissen Gewande, sodann der Tänzer im
Ißtllen Kleid am Kopf und anderwärts, die tanzende Bacchantin am Gesicht, die
"Violante" an Schulter, Armen und Händen, die Frau zu ihrer Seite an Schultern
und Armen, der Tänzer mit der Vase an den Händen, die mit dem Wein beschäf-
tigten Männer verschiedentlich, der Trinker links an Gesicht und Arm; der Himmel
hat die Patina verloren und ist auch durch Nachbesserungen angegriffen. Die
Galerie zu Bergamo besitzt eine Oopie des Bacchanals von Varottari; auch in der
Sannnlung Barharigo, welche 1850 aufgelöst worden, Abefand sich eine Copic, die
von Varottari sein sollte. Das Original ist von Laurent photographiert.