CAP. VI.
Ei
BACOHANAL"
MADRID.
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die nunmehr in Ferrara zu vollendende Composition das jetzt in Ihdrid.
Madrid beflndliChe "Bacchanal" War. Dargestellt ist eine Scllaarbhißsäoaäel
Mänaden, die mit ihren Genossen eine Orgie feiern. Die schlum-
melnde Frauengestalt im Vordergrunde und das Motto in fran-
zösischer Sprache waren vermuthlich nach Alibnsds besonderer
Angabe ausgeführt. Erst seit kurzer Zeit hatten die höheren
Klassen der italienischen Gesellschaft die Bekanntschaft der Dieh-
tungen Ovid's und Catulfs gemacht, aber schon zeigten sie das
lebhafte Verlangen nach bildlicher Verkörperung der malerischen
Scenen, welche dieselben darboten. Ilänfig erweiterten und ver-
änderten jedoch die Maler die Fabeln der Dichter, und es ist
nicht unwahrscheinlich, dass man Wandmalereien und Reliefs, von
denen manche sich bis auf unsere Zeit erhalten haben, als Hilfs-
mittel benutzte, um die Phantasie des Künstlers anzuregen. In
den Ruinen von Pompeji sieht man Ariadne an der Küste eines
felsigen baumlosen Eilandes schlafend" liegen, während Theseus
mit seinen Schifen von dannen segelt. Auf einem Basrelief im
Vatikan bewundert Bacchus, dessen Wagen von einer Centaurin
gezogen wird, die schlummernde Schöne. Die Figur im Vorder-
grunde unseres „Bacchanals" ist nicht im Geiste der pompeja-
nischcn Malereien gehalten, die ja Tizian und seine Zeitgenossen
noch gar nicht gekannt haben, wohl aber kann die Stellung
und die Haltung der Arme die Annahme rechtfertigen, Ariost oder
Alfonso hätte ein klassisches Meisterwerk gesehen und sich eine
Zeichnung davon aus Rom verschaift. Es ist merkwürdig, dass
dieselbe Figur mit leichten Veränderungen schon auf dem „Götter-
feste" Bellini's in Alnwich erscheint. Fraglich bleibt allerdings,
0b Alfonso Ariadne unmittelbar nach ihrer Entdeckung auf Naxos
durch Bacchus dargestellt haben wollte oder 0b es ihm nur auf
das Bild einer Bacchantin in der Gestalt ankam, welche die
klassische Kunst der Ariadneverliehen; aber möglich ist immer-
hin, dass er jene mythologische Seene im Sinne hatte, obgleich
wir uns unter den handelnden Figuren des Bildes vergebens nach
einer Gestalt umsehen, die man für Bacchus nehmen dürfte, es
sei denn, dass man ihn in einem der beiden Zuschauer erkennen
Wollte, welche auf der linken Seite an einem Baume lehnen.