CAP
TlZIAN'S TECHNIK. 1 83
Zwielicht
einer
Kirche
oder
der
helleren
Luft
eines
Prunk-
zimmers gesehen werden sollte.
Ueber dies technische Verfahren Tizian's sind in unseren Tagen
so viel Theorien aufgestellt worden als es Maler gibt, die des
Meisters Werke copierten, und es mag deshalb auf den ersten Blick
amnaasslich erscheinen, wenn man es unternimmt, über einen
Punkt Aufklärung geben zu wollen, über den fast alle Künstler
verschiedener Meinung sind. Angesichts eines Meisterwerkes von
solcher Bedeutung wie die "Assunta" ist es jedoch kaum möglich,
die Frage ganz mit Stillschweigen zu übergehen. Palma der Jün-
gere hat ms die folgende Schilderung hinterlassen, die sich zwar
auf eine späte Periode der Thätigkeit Tizian's bezieht, aber nichts-
destoweniger interessant und lehrreich ist. "Tizian" sagt er "prä-
parierte seine Bilder mit einer soliden Lage von Pigment, welche
als ein Bett Ode: Untergrund diente, den er Wiederholt vornahm.
Einige solcher Vu-bereitungen wurden mittels kräftiger Striche
und reichlich gesättigten Pinsels ausgeführt, die Halbtinten mit
reiner rother Erde aufgetragen, die Lichter mit Weiss angesetzt
und sodann mit Hilfe tesselben Pinsels durch Roth, Schwarz und
Gelb ausgerundet. Auf liese Weise gab er mit vier Strichen die
Andeutung einer Figur. Nachdem er diesen Grund gelegt, lehnte
er das Gemälde gegen die Wand und liess es Vielleicht Monate
lang stehen; nach Verlauf einn- längeren Zeit nahm er es wieder
vor, betrachtete es sorgfältig 111d untersuchte die einzelnen Theile
so scharf als musterte er die Gesehtszüge seines Tedfeindeg, Er-
schien ihm dabei eine Partie fehleriaft, so maehte er sieh an die
Verbesserung und gebrauchte dabei ämliehe Mittel wie etwa ein
Chirurg sie anwenden würde, d. h. e- schnitt hier Auswüchse,
dort überflüssiges Fleisch ab, brachte eeen Arm in die rechte
Lage, renkte ein Glied ein und achtete labei keine Mühe und
Arbeit zu gross. Dadurch brachte er denn das Ganze in eine
gewisse Symmetrie, setzte die Arbeit wieder bei Seite, um in
derselben Weise zum dritten und vierten Male w ihr Zurückzu-
kehren, bis die ersten Umrisse mit einem Fleisch Uebel-zuge be-
deckt waren. Es war ganz gegen seine Gewohnheit, ein Bild
hinter einander weg zu malen, und er pflegte zu sagen, ein Dichter,