Volltext: Tizian (Bd. 1)

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TIZIAN 
UND ALFONSO 
VON 
ESTE. 
CAP. 
Als höchstes Zcugniss echten Künstlerthums darf bei Tizian 
die Beobachtung gelten, dass in allen Werken seines Pinsels die 
vollste Uebereinstimrnung zwischen dem Gegenstand und der Be- 
handlungsweise herrscht. S0 trägt die „Anbetung der Venus" mit 
der glänzenden Manigfaltiglzeit der Abstufung ihrer Töne und dem 
brillanten Spiel ihrer Lichter den Stempel heiterer Schalienslust; 
die „Lebensalter" erscheinen entsprechend der Ruhe und Tiefe 
ihrer allegorischen Bedeutung mild gedämpft durch melodische 
Einheit der Farbe und gemassigte Atmosphäre. Wir haben es 
jetzt mit einem übernatürlichen Vorgange zu thun, und Tizian 
findet auch den von jenseits der Natur erahnten künstlerischen 
Ausdruck durch- eine Wirkung von Licht und Schatten, Welche in 
magischer Weise dem darzustellenden Gegenstande gerecht wird, 
und durch eine Anordnung, die ausschliesslich und vollkommen 
für den Ort berechnet war, für den er das Bild malte. 
Als Donatello den Auftrag erhielt, die Statue des Evangelisten 
Markus für eine Nische an der Kirche Or San Miehele in Florenz 
auszuführen, war er genöthigt, das Modell auf dem Boden seiner 
Werkstatt herzustellen; dem ungeachtet konnte der erfahrene Künst- 
ler gar nicht anders, als sein Gebild, den höheren Regeln seiner 
Kunst gemäss, dem Standorte des Piedestales anzupassen, auf 
das es zu stehen kommen sollte. Wie nun die Figur in seiner 
Werkstatt stand, wurde sie um der oifenbaren Missverhältnisse 
willen getadelt, und man drohte, sie ihm gar nicht abzuneh- 
men, wenn er diese Fehler nieht verbessere. Er versprach es, 
stellte jedoeh zuvor die Statue an die Stelle, für die sie be- 
stimmt war, und nun verwandelte sieh der Tadel in die schmei- 
ehelhafteste Anerkennung. Die gegenwärtig in der Akademie zu 
Venedig befindliche "Assunta" Tizian's erscheint dem Besehauer 
unglücklicherweise unter denselben unangemessenen Verhältnissen 
wie Donatellds Figur, ehe sie an ihren eigentlichen Standort 
erhoben war. Das Bild befindet sieh weder an der Stelle, für 
die es gemalt ist, noch hat es das Lieht, was der Maler dafür 
im Auge hatte. So geht auf der einen Seite der Contrast zwi- 
schen der Klarheit des Himmels und der Düsterheit des Grabes 
VCYIOPGII, W0gegen gerade das, was in der Dunkelheit der Kirche
	        
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